Scheinselbstständige

Aktuelles

Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch - Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 17.07.2019
Der Bundesrat hat in seiner 979. Sitzung am 28. Juni 2019 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 6. Juni 2019 verabschiedeten Gesetz zuzustimmen.
Auszug aus der Begründung zum Gesetzesvorhaben:

Scheinselbständigkeit führt zu fehlender sozialer Absicherung bei den vermeintlich Selbständigen und belastet die Sozialsysteme. Die Prüfungs- und Ermittlungsbefugnisse der FKS werden deshalb erweitert, um künftig bei Verdacht auf Scheinselbständigkeit, auch ohne Kenntnis des konkreten Arbeitsortes, eine Prüfung beim Scheinselbständigen an der gemeldeten Betriebsstätte oder erforderlichenfalls an Amtsstelle durchführen und gegebenenfalls Ermittlungen vornehmen zu können.

Eine nachträglich festgestellte Scheinselbständigkeit kann hohe Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer auslösen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 26.6.2019, 5 AZR 178/18).

Grundsätzliches

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand zwar nach der zu Grunde liegenden Vertragsgestaltung selbstständige Leistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten wie in einem Arbeitsverhältnis durchführt.

Der Hintergrund für die Scheinselbständigkeit ist die Möglichkeit, Geld zu sparen. In diesem Bestreben sind sich häufig Auftraggeber und Auftragnehmer (Scheinselbständiger) einig und wollen von der freien Beschäftigung profitieren.

Auch wenn sich beide Seiten einig sind, schützt das im Ernstfall nicht vor Konsequenzen. Der Auftraggeber kann sich sogar strafbar machen. In der Sozialversicherung ist der Schuldner der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer ist nur Beitragspflichtig und muss sich seine Arbeitnehmeranteile vom Lohn abziehen lassen. In jedem Unternehmen führt die Deutsche Rentenversicherung alle 4 Jahre eine Betriebsprüfung durch. Dabei werden auch die Honorare an Subunternehmer kontrolliert.

Der § 7 SGB IV definiert den Begriff Beschäftigung. Danach ist eine Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Liegt eine solche Beschäftigung vor, besteht Versicherungspflicht und der Arbeitgeber wird Schuldner der entsprechenden Beiträge.

Auf der Seite Arbeitnehmer finden sie Ausführungen zum Arbeitnehmerbegriff und zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit

Besteht Unklarheit über die Arbeitnehmereigenschaft, können Selbstständige (Arbeitnehmer) oder ihre Auftraggeber bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Statusfeststellungsverfahren einleiten, durch das eine Tätigkeit als selbstständig oder Beschäftigung definiert wird.

Rundschreiben zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen vom 01.04.2022 (Das aktualisierte Rundschreiben löst mit Wirkung ab 01.04.2022 das bisherige Rundschreiben vom 21.03.2019 ab.)

Definition der Deutschen Rentenversicherung zur Scheinselbstständigkeit (Quelle: Lexikon zur Sozialversicherungsprüfung im Unternehmen):

Als scheinselbstständige Arbeitnehmer werden Personen bezeichnet, die formal wie selbstständig Tätige (Auftragnehmer) auftreten, tatsächlich jedoch abhängig Beschäftigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV sind. Der Auftraggeber hat - wie auch sonst jeder Arbeitgeber bei seinen Mitarbeitern - zu prüfen, ob ein Auftragnehmer bei ihm abhängig beschäftigt oder für ihn selbstständig tätig ist. Ist ein Auftraggeber der Auffassung, dass im konkreten Einzelfall keine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist zwar formal von ihm nichts zu veranlassen. Er geht jedoch das Risiko ein, dass bei einer Betriebsprüfung der Sachverhalt anders bewertet und dadurch die Nachzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen erforderlich wird. In Zweifelsfällen sollte der Auftraggeber daher das besondere Anfrageverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV einleiten.

Kriterien der Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung bei der Überprüfung freier Mitarbeiter auf Scheinselbstständigkeit:

  • Hat der freie Mitarbeiter nur einen Auftraggeber?
  • Hat der freie Mitarbeiter keine eigenen Arbeitnehmer?
  • Macht der freie Mitarbeiter mit einem Auftraggeber seinen Hauptumsatz?
  • Ist der freie Mitarbeiter wie die Festangestellten Arbeitnehmer in das Unternehmen eingebunden?
  • Hat der freie Mitarbeiter eine fest vorgegebene Arbeitszeit?
  • Ist der freie Mitarbeiter in vielen Entscheidungen gebunden (Bezugsquellen, Personaleinsatz, Kapitaleinsatz, Maschineneinsatz)?

Es wird immer die Gesamtsituation betrachtet. Wenn ein Kriterium aus der obigen Aufzählung zutrifft, ist nicht zwingend von Scheinselbstständigkeit auszugehen.

Auszug aus dem zwölften Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (Drucksache 17/14800 vom 27. 09. 2013):

Das Phänomen der Scheinselbständigkeit ist eine Form der Schwarzarbeit und liegt vor, wenn eine erwerbstätige Person als formell selbständiger Unternehmer (Auftragnehmer) auftritt, obwohl sie tatsächlich im Sinne des § 7 Absatz 1 SGB IV abhängig beschäftigt ist. Sie unterfällt als Deliktsform dem § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). Das Phänomen der Scheinselbständigkeit spielt im Berichtszeitraum weiterhin eine nennenswerte Rolle. Charakteristisch ist, dass unter dem Deckmantel der Selbständigkeit das Bestehen einer Sozialversicherungspflicht verschleiert werden soll. Weitere Gründe sind die Umgehung der gesetzlichen Mindestlöhne oder die Verletzung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen, die bei Selbständigen nicht zu beachten sind.

Bei einem Zweifel, ob es sich um eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit handelt, hilft die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sie prüft den sozialversicherungsrechtlichen Status.

Scheinverträge zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht

Einige Unternehmen schließen zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht Scheinverträge ab.
Beispiel für derartige Praktiken:
Von einer GmbH werden meist ausländische Staatsangehörige, die eigentlich als Arbeitnehmer tätig sind, als selbstständige Unternehmer angesehen. Die ausländischen Staatsangehörigen gründen Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR).
Auszug aus der Pressemitteilung des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 16.11.2021 (Urteil vom 25.10.2021, Az.: L 8 BA 3118/20):

Einer der führenden Hersteller von Betonprodukten schloss zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht Scheinverträge mit rumänischen Staatsangehörigen.
Dies entschied der 8. Senat des baden-württembergischen Landessozialgerichts in einem Musterverfahren und bestätigte ein vorangegangenes Urteil des Sozialgerichts. Dort sind 28 Parallelverfahren noch anhängig.
....
Der Beigeladene habe mangels Sprachkenntnissen die Tragweite und die Umstände der GbR-Gründung nicht erfassen können. Er habe auch bestätigt, dass er nur habe arbeiten wollen und einfach das unterschrieben habe, was ihm von der X-GmbH und dem Mittelsmann M vorgelegt wurde. Der Beigeladene habe weder seine Rechtsposition als Gesellschafter erfasst noch die Tatsache, dass die GbR in die Rechtsbeziehung zwischen ihn und die X-GmbH geschaltet wurde, um die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Die GbR habe insofern eine leere Hülse dargestellt, welche nur zum Schein gegründet wurde. Dementsprechend hätten sämtliche GbRs inhaltsgleiche Vereinbarungen und als Geschäftsadresse das Wohnheim der rumänischen Arbeitskräfte angegeben. Es handele sich somit um ein von der X-GmbH entworfenes Konstrukt, welches den rumänischen Arbeitern einseitig und ohne Mitwirkung und Einflussnahme auf die Ausgestaltung zur Unterschrift vorgelegt wurde. Den rumänischen Arbeitern sei es nur darum gegangen, zu arbeiten, ohne dass sie die rechtlichen Umstände der Beschäftigung hätten erfassen und beeinflussen können. Der Beigeladene sei auch in den Betrieb der X-GmbH eingegliedert und deren Weisungen unterlegen gewesen. Er hätte keinerlei unternehmerisches Risiko getragen und weder über eine eigene Betriebsstätte noch über Betriebsmittel verfügt. Auch nach dem Gesellschaftsvertrag habe er keine Bar- und Sachmittel, sondern nur seine Arbeitskraft eingebracht. Der Beigeladene habe auch keine konkreten Angaben über die Beschäftigung von Arbeitnehmern durch die V-GbR machen können. Da die Preise für sämtliche GbRs gleich gewesen seien, liege eine einheitliche Preisvorgabe und -gestaltung durch die X-GmbH für alle GbRs nahe. Nach alledem habe es sich bei der V-GbR um eine nach § 117 BGB unwirksame Scheinkonstruktion gehandelt, bei welcher der Beigeladene lediglich als Marionette von M sowie der X-GmbH fungiert habe.

Ablauf des Verfahrens:

  • Die GmbH beantragte die Statusfeststellung der Gesellschafter der GbRs.
  • Die Rentenversicherung stellte Sozialversicherungspflicht fest.
  • Die hiergegen gerichtete Klage der GmbH wies das Sozialgericht mit Urteil vom 03.09.2020 ab.
  • Der 8. Senat des Landessozialgerichts bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
  • Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Folgen einer festgestellten Scheinselbständigkeit

Bei einer festgestellten Scheinselbständigkeit wird die betreffende Person Arbeitnehmer des Betriebes. Grundsätzlich tritt bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit die Sozialversicherungspflicht mit Aufnahme der Tätigkeit ein. Der Arbeitgeber (Auftraggeber) muss die ausstehenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge (plus Säumniszuschläge und Zinsen) zur Sozialversicherung rückwirkend bis zu vier Jahre nachzahlen.

Steuerrechtlich haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer für evtl. Nachzahlungen der Lohnsteuer als Gesamtschuldner.

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 26.6.2019, 5 AZR 178/18 - Arbeitnehmerstatus - Rückabwicklung
Leitsätze:

Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Arbeitgeber aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung steht zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer zu vergüten war und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, soweit die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar. War anstelle eines Honorars für die Tätigkeit im Arbeitsverhältnis eine niedrigere Vergütung zu zahlen, umfasst der Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen den beiden Vergütungen.

Mit der Feststellung der Scheinselbstständigkeit endet die unternehmerische Tätigkeit. Damit ist das Gewerbe beim zuständigen Gewerbeamt abzumelden. Die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer endet ebenfalls zu diesem Zeitpunkt.


© 2007-2024 A.Liebig - Impressum - Kontakt - Datenschutz - Inhaltsverzeichnis (Sitemap) - Lohnlexikon