Sozialauswahl

Aktuelles

Wenn ein Mitarbeiter ein zumutbares Arbeitsplatzangebot erhält, kann er in einem Sozialplan von einer Abfindung ausgeschlossen werden (Landesarbeitsgericht Saarland, Urteil vom 26.06.2024, 1 Sa 43/23).
Auszug aus der Medieninfo vom 27.06.2024 der Arbeitsgerichtsbarkeit im Saarland:

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht habe der Klägerin zurecht keine Abfindung oder Entschädigung zugesprochen. Die Ungleichbehandlung von denjenigen Mitarbeitern, denen ein zumutbares Arbeitsplatzangebot gemacht worden sei und denjenigen, denen ein weiter entfernter und damit nach der Definition des Sozialplans nicht mehr zumutbarer Arbeitsplatz angeboten worden sei, sei sachlich gerechtfertigt, auch wenn denjenigen mit dem zumutbaren Arbeitsplatzangebot kein Wahlrecht zwischen der Zahlung der Abfindung und der Annahme des Arbeitsplatzangebots eingeräumt worden sei.

Diese Bestimmung im Sozialplan verstoße nicht gegen § 7 Abs. 1 AGG, da die Ungleichbehandlung, wenn auch möglicherweise aufgrund des angewandten Punkteschemas mittelbar altersbezogen, objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel, nämlich den Erhalt des Arbeitsplatzes, im Sinne von § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt sei. Ansprüche aus der RSO bestünden nicht, da die Versetzung wirksam erfolgt sei. Die Klägerin könne ihr Begehr auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.


Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Sozialauswahl bleibt erforderlich (Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 09.01.2024 - 3 Sa 529/23).
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 2/2024 vom 09.01.2024 des Landesarbeitsgerichtsbezirks Düsseldorf:

Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das Arbeitsgericht Solingen zutreffend ausgeführt habe. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen. Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u.a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz Zahlungsansprüche verfolgte, blieb seine Berufung ohne Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

Grundsätzliches

Die Begriff Sozialauswahl kommt aus dem Arbeitsrecht. Der § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz definiert die Notwendigkeit einer Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung. Danach ist die Kündigung eines Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitgeber hat auf Verlangen des Arbeitnehmers die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Der Arbeitnehmer hat die Beweislast im Streitfall.

Die Sozialauswahl soll dafür sorgen, dass es bei einem betriebsbedingten Stellenabbau nicht willkürlich zugeht.

Damit müssen 2 Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Sozialauswahl vorzunehmen ist:

  • Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (In einigen Ausnahmefällen hat das Bundesarbeitsgericht aber eine Sozialauswahl auch in Kleinbetrieben bejaht.)
  • Es muss eine Betriebsbedingte Kündigung vorliegen

Bei den Kündigungsgründen wird zwischen personenbedingten, verhaltensbedingten, und betriebsbedingten Gründen unterschieden.

Eine Sozialauswahl ist nur möglich, wenn eine Auswahl unter mehreren Arbeitnehmern denkbar ist. Nur wenn aus betrieblichen Gründen weniger Arbeitsplätze wegfallen als vergleichbare Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist eine Sozialauswahl vorzunehmen.

Durchführung der Sozialauswahl - Schritte

  1. Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer.
    Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die zur selben Hierarchieebene (z. B. Arbeiter) gehören, gegenseitig austauschbar sind (gleiche oder ähnliche Tätigkeitsmerkmale) und keine Kündigungshindernisse bestehen.
  2. Herausnehmen einzelner Arbeitnehmer.
    § 1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz:
    Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
  3. Auswahlentscheidung (eigentliche Sozialauswahl)
    Zu berücksichtigende Kriterien:
    • Dauer der Betriebszugehörigkeit,
    • Lebensalter,
    • Unterhaltspflichten und
    • mögliche Behinderungen (Schwerbehinderung)
    Bei der Beurteilung sind diese 4 Kriterien Pflicht. Über ein Punkteschema (Bewertung der einzelnen Arbeitnehmer entsprechend der Kriterien mit Punkten) wird eine Rangliste erstellt.

Beispiel für ein Punkteschema zur Sozialauswahl

Lebensalter Betriebszugehörigkeit Unterhaltspflichten Schwerbehinderung
Für jedes vollendete Lebensjahr 1 Punkt
Maximal 55 Punkte
Für jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit 1 Punkt
Für jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit ab dem 11. Beschäftigungsjahr 2 Punkte
Maximal 70 Punkte
Verheiratet 8 Punkte
Je Kind 4 Punkte
Schwerbehinderung im Sinne der §§ 85 ff. SGB IX bis zu einem Grad der Behinderung von GdB 50 oder Gleichstellung 5 Punkte
je 1 weiterer Punkt pro 10 GdB mehr

Möglichkeit zu einer Altersgruppenbildung

Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) kann die Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes innerhalb von Altersgruppen vorgenommen werden.
Beispiel:

  • 21 bis 30 Jahre
  • 31 bis 40 Jahre
  • 41 bis 50 Jahre
  • 51 und älter

Das Lebensalter ist dann nur im Rahmen der jeweiligen Altersgruppe von Bedeutung. Damit bleibt der Altersaufbau der Belegschaft erhalten. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Vorgehensweise bestätigt.
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 15.12.2011, 2 AZR 42/10
Betriebsbedingte Kündigung - Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung - alternative Beschäftigungsmöglichkeit - Sozialauswahl - keine Altersdiskriminierung durch Altersgruppenbildung
Leitsätze:

Die gesetzliche Vorgabe in § 1 Abs 3 S 1 KSchG, das Lebensalter als eines von mehreren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen, und die durch § 1 Abs 3 S 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahl zum Zweck der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, verstoßen nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (juris: EGRL 78/2000).

Die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur im Insolvenzverfahren regelt § 125 Abs. 1 Insolvenzordnung:

Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes mit folgenden Maßgaben anzuwenden:
  1. es wird vermutet, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist;
  2. die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.
Satz 1 gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

Das Bundesarbeitsgericht hat auch diese Vorgehensweise bestätigt.
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.12.2013, 6 AZR 790/12
Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur
Leitsätze:

Die im Insolvenzverfahren eröffnete Möglichkeit, über einen Interessenausgleich mit Namensliste eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen, ist mit dem Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union vereinbar.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Die Altersgruppenbildung kann bei entsprechendem Reformbedarf ein angemessenes und erforderliches Mittel sein, um im Zusammenhang mit Entlassungen eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, die eine (zumindest teilweise) Fortführung des Unternehmens oder Betriebs ermöglicht.

Der § 10 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz hat eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters in Sozialplänen für zulässig erklärt (Bedingungen für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses). Das Bundesarbeitsgericht hat das Kriterium Lebensalter für die Sozialauswahl ebenfalls gestattet. Für die 4 Kriterien ist eine ausgewogene Gewichtung erforderlich. Die Arbeitnehmer mit den wenigsten Punkten sind bei der Auswahl der zu Kündigenden zuerst dran.

Der § 10 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz erlaubt eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung. Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen sind wegen Alter in zweierlei Hinsicht möglich.

  • Möglich ist eine nach Alter gestaffelte Abfindungsregelung (in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind), oder
  • Beschäftigte von den Leistungen eines Sozialplans ausgeschlossen werden, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist es zulässig, wenn in einem Unternehmen für bis zu 59-jährige eine von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängige Abfindung gewährt wird, gleichzeitig aber ältere Arbeitnehmer eine geringere Abfindung bekommen.

Diese Rechtsauffassung verkörpert einmal wirklich Recht.

Mit steigendem Alter ist es zwar schwieriger einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen. Ist ein bestimmtes Alter aber erreicht greifen die sozialen Sicherungssysteme (bis zur Rente Arbeitslosengeld) und eine Abfindung hätte nur noch einen Mitnahmeeffekt.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 26. März 2013 (1 AZR 813/11) diese Auffassung bekräftigt. Bei der Bemessung von Sozialplanleistungen darf der Arbeitgeber berücksichtigen, dass Arbeitnehmer eine vorgezogene gesetzliche Altersrente beziehen können. Das verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG) und das Verbot der Altersdiskriminierung im EU-Recht.
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 26.03.2013, 1 AZR 813/11
Sozialplan - Ungleichbehandlung wegen des Alters
Leitsätze:

Die Betriebsparteien sind unionsrechtlich nicht gehalten, in einem Sozialplan für rentennahe Arbeitnehmer einen wirtschaftlichen Ausgleich vorzusehen, der mindestens die Hälfte der Abfindung rentenferner Arbeitnehmer beträgt.

Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 23/13 des Bundesarbeitsgerichts:

Ein Sozialplan soll die künftigen Nachteile ausgleichen, die Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehen. Dafür stehen den Betriebsparteien nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Die an das Lebensalter anknüpfende Berechnung der Abfindung ist nach § 10 Satz 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG zulässig. Wegen der Überbrückungsfunktion einer Sozialplanabfindung ist es nicht zu beanstanden, wenn die Betriebsparteien bei rentennahen Arbeitnehmern nur deren bis zum vorzeitigen Renteneintritt entstehenden wirtschaftlichen Nachteile nach einer darauf bezogenen Berechnungsformel ausgleichen. Sie sind nicht gehalten, den rentennahen Arbeitnehmern mindestens die Hälfte einer nach der Standardformel berechneten Abfindung zu gewähren. Das gibt auch das Unionsrecht nicht vor.

Sozialauswahl - Bezug von Regelaltersrente
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.04.2017 (2 AZR 67/16) folgendes festgestellt:

Ein regelaltersrentenberechtigter Arbeitnehmer ist in einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG hinsichtlich des Kriteriums "Lebensalter" deutlich weniger schutzbedürftig als ein Arbeitnehmer, der noch keine Altersrente beanspruchen kann.

Berücksichtigung der Rentennähe bei der sozialen Auswahl
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (6 AZR 31/22) folgendes festgestellt (Auszug aus der Pressemitteilung 46/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 08.12.2022):

Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers anhand der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien zu erfolgen. Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf insoweit nicht berücksichtigt werden.

Kinder-Zuschlag auf die Abfindung darf nicht ausschließlich an steuerlichen Kinderfreibetrag geknüpft werden - Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 28.10.2020 (18 Sa 22/20)
Die Anknüpfung einer höheren Sozialplanabfindung an den steuerlichen Kinderfreibetrag benachteiligt Frauen.

Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 01/2021 des Hessischen Landesarbeitsgericht:

Bei allen Personen, welche die Lohnsteuerklasse V gewählt haben, kann ein Kinderfreibetrag nach dem Einkommenssteuergesetz (§§ 38b Abs. 2, 39 Abs. 4 Nr. 2 EStG) als Lohnsteuerabzugsmerkmal nicht berücksichtigt werden. Nach der Regelung des Sozialplans sollte ausschließlich über den Freibetrag nachgewiesen werden können, dass eine Unterhaltspflicht für ein Kind bestand. Damit waren Eltern mit der Lohnsteuerklasse V von einem Abfindungszuschlag generell ausgeschlossen. Die Lohnsteuerklasse V wird noch immer überwiegend von Frauen gewählt, deren Ehepartner einen höheren Arbeitsverdienst erzielt.

Die Arbeitgeberin wurde verurteilt, der Klägerin, einer Mutter von zwei kleinen Kindern mit Lohnsteuerklasse V, die Kinder-Zuschläge zur Abfindung zu zahlen. Sie habe wegen der mittelbaren Benachteiligung durch den Sozialplan denselben Anspruch wie die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit unterhaltsberechtigten Kindern.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ist nicht eingelegt worden.

Ausführliche Informationen zu Abfindungen

Verhältnis der sozialen Auswahlkriterien des §1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz

Das Bundesarbeitsgericht hatte in einem Fall über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung zu entscheiden. Dabei stellte das Gericht fest, dass keinem Auswahlkriterium eine Priorität gegenüber den anderen zukommt. Es sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren Sozialdaten zu berücksichtigen und abzuwägen.

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 29.1.2015, 2 AZR 164/14
Betriebsbedingte Änderungskündigung - Sozialauswahl
Leitsätze:

Im Rahmen der Sozialauswahl ist eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht geeignet, drei Unterhaltspflichten aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinerseits eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren aufzuweisen hat.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Bei einer Änderungskündigung ist die Sozialauswahl nicht allein daran auszurichten, welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern durch den Verlust des Arbeitsplatzes am wenigsten hart getroffen würde. Da es bei der ordentlichen Änderungskündigung - unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer sie unter Vorbehalt angenommen hat oder nicht - um die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots geht, ist darauf Bedacht zu nehmen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirkt. Es ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie eher zumutbar gewesen wäre. Auch hierfür sind allein die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Lebensalter und Schwerbehinderung maßgebend. Eine Heranziehung zusätzlicher Faktoren und Kriterien muss wegen der klaren gesetzlichen Regelung unterbleiben.

Das Landesarbeitsgericht Köln hatte in einem am 18.02.2011 veröffentlichten Urteil die Frage zu entscheiden, welchem von zwei vergleichbaren Arbeitnehmern bei Wegfall eines Arbeitsplatzes unter sozialen Gesichtspunkten gekündigt werden kann.

Auszug aus der Pressemitteilung 4/2011 des Landesarbeitsgericht Köln:

Der Fall betraf zwei etwa gleich lang beschäftigte verheiratete Führungskräfte in der Metallverarbeitung, von denen der eine 35 Jahre alt war und zwei Kinder hatte, der andere 53 Jahre alt und kinderlos. Das Gericht entschied, dass die Kündigung des älteren Arbeitnehmers unwirksam war, weil der jüngere Arbeitnehmer im Gegensatz zum älteren viel bessere Chancen hatte, alsbald eine neue Arbeit zu finden, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Unterhaltpflichten für die Kinder gar nicht beeinträchtigt gewesen wären.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 18.02.2011 - 4 Sa 1122/10 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank NRWE (www.nrwe.de, dort aufrufbar mit dem Aktenzeichen)

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