Arbeitsrecht

Aktuelles

Annahmeverzug nach Vorlage eines negativen Corona-Tests - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. August 2022 (5 AZR 154/22)
Auszug aus der Pressemitteilung 29/22 vom 10.08.2022 des Bundesarbeitsgerichts:

Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem SARS-CoV-2-Risikogebiet zurückkehrt, ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs.

....

Das von ihr erteilte Betretungsverbot des Betriebs führte nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB), weil die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung von der Beklagten selbst gesetzt wurde. Dass ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war, hat sie nicht dargelegt. Die Weisung, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernzubleiben, war außerdem unbillig (§ 106 GewO) und daher unwirksam. Die Beklagte hat dem Kläger nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Hierdurch hätte sie den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können.


Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Gewerkschaften scheitern mit Klage gegen Tarifeinheitsgesetz (Urteil vom 5. Juli 2022)
Geklagt hatten der dbb (Interessenvertretung für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst und im privaten Dienstleistungssektor), die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) und der Marburger Bund (Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.).


Anweisung zur Durchführung von PCR-Tests - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.06.2022 2022 (5 AZR 28/22)
Leitsatz:

Der Arbeitgeber kann in Umsetzung der ihn treffenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen nach § 618 Abs. 1 BGB iVm. § 106 Satz 2 GewO berechtigt sein, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen.

Arbeitgeber muss Fahrradlieferanten Fahrrad und Mobiltelefon als notwendige Arbeitsmittel zur Verfügung stellen - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. November 2021 (5 AZR 334/21)
Auszug aus der Pressemitteilung 38/21 vom 10.11.2021 des Bundesarbeitsgerichts:

Fahrradlieferanten (sogenannte "Rider"), die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon. Von diesem Grundsatz können vertraglich Abweichungen vereinbart werden. Geschieht dies in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers, sind diese nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zugesagt wird.

Grundsätzliches

Das Arbeitsrecht ist Teil des Zivilrechts. Es gilt also der Grundsatz der Privatautonomie. Damit besteht grundsätzliche Vertragsfreiheit bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Da der Arbeitgeber aber in der Regel die stärkere Verhandlungsposition besitzt und sich der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag in eine Abhängigkeit begibt, enthält das Arbeitsrecht gesetzliche Regelungen zum Schutze des Arbeitnehmers.

Zu den tragenden Ordnungsprinzipien im Arbeitsrecht gehört der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.

Das deutsche Arbeitsrecht gliedert sich in zwei Bereiche:

  • Das Individualarbeitsrecht
    Dieses regelt das rechtliche Verhältnis zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer. Es befasst sich hauptsächlich mit dem Zustandekommen des Arbeitsvertrages, mit den Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere der Kündigung.
  • Das kollektive Arbeitsrecht
    Unter dem kollektiven Arbeitsrecht versteht man das Recht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.
    Es umfasst die Bereiche des Tarifrechts, des Arbeitskampfrechts, des Betriebsverfassungsrechts und des Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmer.

Für die Vergütung/ Entgeltfindung gilt folgendes Rangprinzip:

  1. Internationale Verpflichtungen/ Konventionen
    Hier ist das EU-Recht von besonderer Bedeutung. Als Beispiel sei der Artikel 141 des EG-Vertrags genannt. Jeder Mitgliedstaat hat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher zustellen.
  2. Gesetze
  3. Tarifverträge
    Der Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen den Tarifvertragsparteien (Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften). Im Tarifvertrag werden die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt. Ein Tarifvertrag ist ein kollektiver Arbeitsvertrag.
  4. Betriebsvereinbarungen
    Die Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern (vertreten durch den Betriebsrat). Es ist ein Tarifvertrag im Kleinformat.
  5. Betriebliche Übung
    Als betriebliche Übung bezeichnet man den Umstand, dass ein Arbeitnehmer aus der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers ableiten darf, dass der Arbeitgeber sich auch zukünftig so verhalten wird. Durch die Gewährung von Leistungen und Vergünstigungen durch den Arbeitgeber können Rechtsansprüche auf solche Leistungen begründet werden. Durch die betriebliche Übung werden freiwillige Leistungen des Arbeitgebers zu verpflichtenden Leistungen.
    Auszug aus den Entscheidungsgründen eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 17.03.2010 (5 AZR 317/09):
    Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte. Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob die Belegschaft davon ausgehen musste, die Leistung werde nur unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt.
    (Bsp.: Gewährt ein Arbeitgeber freiwillig Weihnachtsgeld mehrere Jahre hintereinander in gleicher Höhe ohne Vorbehalt entsteht ein Anspruch auf diese Leistung.)
  6. Arbeitsvertrag

Das Günstigkeitsprinzip hat die umgekehrte Rangfolge.

Praktisch bedeutet das:

  • Gesetze definieren, was verboten ist bzw. legen Mindeststandards fest, die nicht unterschritten werden dürfen.
  • Tarifverträge müssen günstiger sein als die entsprechenden Gesetze (es gibt in Gesetzen Ausnahmen, die eine Verschlechterung zulassen).
  • Betriebsvereinbarungen müssen günstiger sein als die geltenden Tarifverträge (es kann in Tarifverträgen Öffnungsklauseln geben, die eine Verschlechterung zulassen).
  • Ein Arbeitsvertrag kann nicht geringere Leistungen vereinbaren als eine Betriebsvereinbarung, ein Tarifvertrag bzw. ein Gesetz.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2020 (5 AZR 36/19)
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 12/20 vom 18. März 2020:

Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, welche die vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters verkürzen, sind wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam, wenn die betreffenden Zeiten nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind.

Dispositives Recht - Abdingbares Recht

Es handelt sich um gesetzliche Regelungen, von denen durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien abgewichen werden kann.

Viele arbeitsrechtliche Bestimmungen können einzelvertraglich nicht abbedungen werden, weil sie dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. Manche Arbeitnehmerschutzbestimmungen enthalten jedoch Öffnungsklauseln für abweichende tarifvertragliche Regelungen. Beispiele:

  • Der § 622 Abs. 4 BGB ermöglicht die Vereinbarung einer Abweichung von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 bis 3 BGB.
  • Bis zum 31. Dezember 2017 gehen abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem gesetzlichen Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind.
  • Tarifvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Arbeitszeitrecht sind nach § 7 und § 12 des Arbeitszeitgesetzes zulässig.
  • Der § 13 Abs. 1 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) erlaubt den Sozialpartnern Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben durch Tarifvertrag. Nicht zur Disposition stehen dabei der Anspruch auf Erholungsurlaub (§ 1 BurlG), der persönliche Geltungsbereich (§ 2 BurlG) und die Mindestdauer von 24 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BurlG).
  • Verpflichtender Arbeitgeberzuschuss zur betrieblichen Altersversorgung bei Entgeltumwandlung. Bei einer Entgeltumwandlung für eine andere Zusageform als die reine Beitragszusage werden Arbeitgeber verpflichtet, den ersparten Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung in Höhe von 15% des sozialversicherungsfreien Entgelts an die Versorgungseinrichtung zu zahlen. Das gilt für neue Entgeltumwandlungsvereinbarungen aber erst ab 2019 und für bestehende Vereinbarungen erst ab 2022. Hier handelt es sich um tarifdispositives Recht. Damit bleiben tarifliche Regelungen, auch ungünstigere, gültig. In neuen Tarifverträgen kann auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

Geltung einer Betriebsvereinbarung - Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28. Juli 2020 (1 ABR 4/19)
Arbeitgeber und Betriebsrat können die Geltung einer Betriebsvereinbarung nicht davon abhängig machen, dass die betroffenen Arbeitnehmer zustimmen.
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 25/20 des Bundesarbeitsgerichts:

Die Arbeitgeberin schloss 2007 mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zu variablen Vergütungsbestandteilen der im Lager beschäftigten Arbeitnehmer. Diese sollte unter der Bedingung in Kraft treten, dass ihr "80 % der abgegebenen Stimmen" der in ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer bis zum Ablauf einer von der Arbeitgeberin gesetzten Frist "einzelvertraglich" schriftlich zustimmen. Für den Fall eines Unterschreitens des Zustimmungsquorums konnte die Arbeitgeberin "dies" dennoch für ausreichend erklären. Der Betriebsrat hat die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung geltend gemacht.
Die Vorinstanzen haben das Begehren abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die normative Wirkung einer Betriebsvereinbarung kann nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig gemacht werden. Eine solche Regelung widerspricht den Strukturprinzipien der Betriebsverfassung. Danach ist der gewählte Betriebsrat Repräsentant der Belegschaft. Er wird als Organ der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amtes tätig und ist weder an Weisungen der Arbeitnehmer gebunden noch bedarf sein Handeln deren Zustimmung. Eine von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarung gilt kraft Gesetzes unmittelbar und zwingend. Damit gestaltet sie unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags das Arbeitsverhältnis und erfasst auch später eintretende Arbeitnehmer. Das schließt es aus, die Geltung einer Betriebsvereinbarung an das Erreichen eines Zustimmungsquorums verbunden mit dem Abschluss einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu knüpfen.

Eine Betriebsvereinbarung gilt kraft Gesetzes.

Tarifeinheit - 2010 gekippt - ab 10.07.2015 wieder gültig - Klagen durch Bundesverfassungsgericht abgewiesen - Änderung Tarifeinheitsgesetz ab 2019

Das Bundesarbeitsgericht hatte die Tarifeinheit im Jahr 2010 gekippt.

Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte den Weg für eine Abkehr vom jahrzehntelang geltenden Prinzip der Tarifeinheit frei gemacht. Er schloss sich einem vorangegangenen Beschluss der vierten Kammer des Gerichts an. In Unternehmen konnten damit verschiedene Tarifverträge gelten. Das Einheitsprinzip "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" wurde gekippt. Damit war das Nebeneinander von mehreren Tarifverträgen in einem Unternehmen zulässig.

Die Tarifeinheit war nur ein ungeschriebenes Gesetz.

Konkurrierende Vereinbarungen innerhalb eines Unternehmens sind danach immer öfter aufgetreten. In seltener Einmütigkeit machten sich der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeitgeber und eine breite Koalition aus Union, SPD und FDP für die Wiederherstellung der Tarifeinheit stark.

Die Bundesländer haben in ihrer Sitzung am 12. Juni 2015 das Tarifeinheitsgesetz gebilligt. Es wurde am 09.07.2015 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist damit ab 10.07.2015 in Kraft getreten. Das Gesetz soll zukünftig Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften im selben Unternehmen - wie zum Beispiel bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa - verhindern. Es schreibt daher fest, dass im Streitfall nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gilt.

Im Tarifvertragsgesetz wurde dazu der § 4a eingefügt.

Damit können in einem Betrieb für dieselbe Berufsgruppe keine voneinander abweichenden Tarifverträge gelten. Falls die Tarifvertragsparteien die Zuständigkeiten nicht anderweitig klären können, greift die Mehrheitsregel. In diesem Fall ist der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt vereinbarten kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten Mitglieder hat.

Mit einem Beschluss vom 06. Oktober 2015 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts drei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Tarifeinheitsgesetz abgelehnt (Pressemitteilung Nr. 73/2015 des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2015)

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerden zweier Gewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz als unzulässig zurückgewiesen (1 BvR 1707/15 und 1 BvR 2257/15; Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 39/2016 vom 13. Juli 2016).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 11. Juli 2017 erklärt, dass das Tarifeinheitsgesetz weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Karlsruher Richter machten aber Vorgaben für die Anwendung.
Auszug aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 57/2017 vom 11. Juli 2017:

Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes muss allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen; über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden. Unvereinbar ist das Gesetz mit der Verfassung nur insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber muss insofern Abhilfe schaffen. Bis zu einer Neuregelung darf ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Das Gesetz bleibt mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2018 zu treffen.

Mit dem Qualifizierungschancengesetz wurde die im Tarifeinheitsgesetz enthaltene Regelung zur Tarifkollision verändert. Die Änderung tritt am 1. Januar 2019 in Kraft.
In § 4a Absatz 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes werden die fett hervorgehobenen Wörter eingefügt.

Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar.

Diese Gesetzesänderung stärkt die Rechte der Arbeitnehmergruppen, die von dem im Falle der Kollision nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden. Wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrages deren Interessen nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, findet ihr Tarifvertrag entgegen dem Tarifeinheitsgrundsatz dennoch Anwendung.

Auszug aus der Drucksache 19/6146 des Deutschen Bundestag - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales:

Mit dem neu eingefügten Halbsatz 2 finden in Umsetzung des Regelungsauftrags des Bundesverfassungsgerichts auch die Rechtsnormen des Minderheitstarifvertrags Anwendung, wenn beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von gewerkschaftlich organisierten Berufs- bzw. Arbeitnehmergruppen, die auch vom Minderheitstarifvertrag erfasst sind, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt worden sind. Die Regelung stellt im Kollisionsfall die Interessenberücksichtigung der unter den Minderheitstarifvertrag fallenden Arbeitnehmergruppen sicher, die sowohl in einer Branchen- wie auch in einer Berufsgruppengewerkschaft organisiert sein können.

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der anzuwendende Mehrheitstarifvertrag die Interessen aller unter seinen Geltungsbereich fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem sachgerechten Ausgleich bringt. Nur wenn dies entgegen der dem Tarifvertrag zukommenden Angemessenheitsvermutung ausnahmsweise für eine auch von der Minderheitsgewerkschaft vertretene Arbeitnehmergruppe nicht der Fall ist, sollen für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft, die zu der Arbeitnehmergruppe gehören, deren Interessen nicht ernsthaft und wirksam bei dem Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags berücksichtigt wurden, die Rechtsnormen des Minderheitstarifvertrags Anwendung finden. Der Begriff der Arbeitnehmergruppe ist tarifrechtlich zu verstehen und umfasst alle Personengruppen, für die Tarifverträge geschlossen werden können.

Das Gesetz stellt für die ernsthafte und wirksame Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmergruppe auf das Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags ab und wählt mithin einen prozeduralen Ansatz. Mit der Regelung ist also keine gerichtliche Angemessenheitskontrolle der Tarifvertragsinhalte verbunden. Ein objektiver Maßstab, an dem die Gerichte besser als die Tarifvertragsparteien die inhaltliche Angemessenheit beurteilen könnten, existiert nicht (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 Rn. 146).

Differenzierungsklausel - Spannensicherungsklausel - Abstandsklausel

Differenzierungsklausel:
Nicht-Gewerkschaftsmitglieder erhalten in einem tarifgebundenen Unternehmen in der Regel ebenfalls die Tarifleistungen. Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln sind Regelungen, die den Arbeitgeber verpflichten, zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zu unterscheiden (höhere Ansprüche für Gewerkschaftsmitglieder).

Dazu gibt es ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2011 (4 AZR 366/09)
Unwirksamkeit einer Differenzierungsklausel in der Form einer Spannenklausel
Leitsätze:

Eine tarifvertragliche Inhaltsnorm, die eine den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltene Leistung dadurch absichert, dass sie für den Fall einer Kompensationsleistung des Arbeitgebers an nicht oder anders organisierte Arbeitnehmer das Entstehen eines entsprechend erhöhten Anspruchs für die Gewerkschaftsmitglieder vorsieht (sog. Spannenklausel), ist wegen Überschreitung der Tarifmacht unwirksam.

Damit ist eine einfache Differenzierungsklausel möglich. Es darf also Sonderleistungen exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder geben, doch darf der Arbeitgeber diese bei Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern finanziell ausgleichen.

Der Arbeitgeber muss also immer die arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeit haben, den Gewerkschaftsmitgliedern seine nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer gleichzustellen.

In einem weiteren Urteil hat das Bundesarbeitsgericht bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien die tarifvertraglichen Ansprüche differenzierend festlegen können. Das entspricht ihrer Regelungsmacht.
Leitsätze des Urteils vom 15.04.2015 (4 AZR 796/13) - Stichtagsregelung für Leistungen an Gewerkschaftsmitglieder:

Die Tarifvertragsparteien können in einem Tarifvertrag mit sozialplanähnlichem Inhalt für Leistungen mit einer Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern - solchen, die vor einem Stichtag Gewerkschaftsmitglied waren und später eingetretenen - grundsätzlich differenzieren, wenn der Stichtag nicht willkürlich gewählt wird, sondern für ihn ein sachlicher Grund besteht (hier: Datum des Abschlusses der Tarifverhandlungen über eine Teilbetriebsstillegung).

In einer Parallelentscheidung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.04.2015 (4 AZR 796/13) wurde wieder eine Differenzierungsregelung bestätigt (Urteil vom 27.01.2016 - 4 AZR 441/14).

Gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 2016 (4 AZR 441/14) gab es eine Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 14. November 2018 (1 BvR 1278/16) vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 89/2018 vom 21. Dezember 2018 des Bundesverfassungsgerichts:

Eine unterschiedliche Behandlung gewerkschaftlich organisierter und nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem Tarifvertrag verletzt nicht die negative Koalitionsfreiheit, solange sich daraus nur ein faktischer Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entsteht. Mit dieser Begründung hat die 2. Kammer des Ersten Senates mit heute veröffentlichtem Beschluss die Verfassungsbeschwerde eines gewerkschaftlich nicht organisierten Beschäftigten nicht zur Entscheidung angenommen, der sich durch eine sogenannte "Differenzierungsklausel" in einem Tarifvertrag benachteiligt sah.

Anspruch auf tarifliche Leistungen - Stichtagsregelung für Gewerkschaftsmitglieder

Die Regelung in einem Transfer- und Sozialtarifvertrag sah folgendes vor:
Gewerkschaftsmitglieder erhalten bei einer betriebsbedingten Kündigung eine um 10.000 Euro höhere Abfindung sowie ein um 10 Prozentpunkte höheres Transferkurzarbeitergeld als nichtorganisierte Arbeitnehmer. Diese verbesserten Konditionen galten für Beschäftigte, die in der vorhergehenden Auseinandersetzung bis zum 23. März 2012 Mitglied der IG Metall geworden waren. Die Klägerin ist erst im Juli 2012 Mitglied der IG Metall geworden und hatte damit keinen Anspruch auf die Zusatzleistungen. Mit der Regelung sollten Mitnahmeeffekte verhindert werden.Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regelung bestätigt (Urteil vom 15. April 2015 - 4 AZR 796/13).

Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 20/15 des Bundesarbeitsgerichts vom 15.04.2015:

Ein Haustarifvertrag, der einen sozialplanähnlichen Inhalt hat, kann für Leistungen, die zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile an tarifgebundene Arbeitnehmer gezahlt werden, eine Stichtagsregelung vorsehen, nach der ein Anspruch nur für diejenigen Mitglieder besteht, die zum Zeitpunkt der tariflichen Einigung der Gewerkschaft bereits beigetreten waren.
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Die im persönlichen Geltungsbereich des ETV vereinbarte Stichtagsregelung - 23. März 2012 - ist wirksam. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich dabei nicht um eine sog. einfache Differenzierungsklausel, die zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits sowie nicht und anders tarifgebundenen Arbeitnehmern - sog. Außenseitern - andererseits unterscheidet.
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Die Bestimmungen des ETV verstoßen auch nicht gegen die sog. negative Koalitionsfreiheit. Die tarifliche Regelungsbefugnis ist von Verfassungs und Gesetzes wegen auf die Mitglieder der tarifschließenden Verbände und vorliegend auf die der IG Metall beschränkt. Die "Binnendifferenzierung" zwischen Gewerkschaftsmitgliedern schränkt weder die Handlungs- oder die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die von sog. Außenseitern ein. Diesem Personenkreis bleibt es unbenommen, seine vertraglichen Beziehungen frei zu gestalten.

Verbot religiöser Symbole am Arbeitsplatz

Arbeitgeber können Kopftuch im Job verbieten
Arbeitgeber können das Tragen des Kopftuchs untersagen, wenn weltanschauliche Zeichen generell in der Firma verboten sind und wenn es gute Gründe gibt. Das hat der Europäische Gerichtshof am 14. März 2017 in Luxemburg entschieden (C-157/15 und C-188/15).
Auszug aus der vorläufigen Fassung des Urteils in der Rechtssache C-157/15 des Europäischen Gerichtshofs vom 14. März 2017:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Eine solche interne Regel eines privaten Unternehmens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

In Deutschland sind Kopftücher am Arbeitsplatz im Prinzip erlaubt, Einschränkungen sind aber möglich. Bei der Beurteilung künftiger Fälle müssen sich die deutschen Gerichte künftig an die Klarstellungen des Europäischen Gerichtshofs halten.

Das Bundesarbeitsgericht hatte mit Urteil vom 10.10.2002 (2 AZR 472/01) entschieden, dass das tragen eines islamischen Kopftuchs noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen rechtfertigt. Mit einer entsprechenden internen Regel des Kaufhaus wäre das Urteil heute ein anderes.

Das Bundesarbeitsgericht hatte mit Urteil vom 24.9.2014 (5 AZR 611/12) in einem evangelischen Krankenhaus ein kirchliches Selbstbestimmungsrecht zum Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs während der Arbeitszeit gesehen.
Leitsätze des Urteils: Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu einem zumindest neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hält Kopftuchverbot am Arbeitsplatz für zulässig - Urteil vom 15.07.2021 in den verbundenen Rechtssachen C-804/18 und C-341/19
Wenn ein Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst, liegt nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Union keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung vor.

Auszug aus dem Urteil:

  1. Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird.
  2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern erstens diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das der Arbeitgeber unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung des Neutralitätsgebots zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und drittens das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.
  3. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dieses Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst. Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen, die jedenfalls auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt sein kann.
  4. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.

Das Bundesarbeitsgericht hatte den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht und muss nun ein abschließendes Urteil unter den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union erstellen.
In dem Verfahren 10 AZR 299/18 haben die Parteien am 09.11.2021 einen Vergleich geschlossen.

Wichtige Gesetze für die Vergütung/ Entgeltfindung

Für die Vergütung/ Entgeltfindung sind folgende Gesetze von Bedeutung:

Rechtliche Rahmenbedingungen der Vergütung.

Annahmeverzug

Es gilt § 615 BGB (Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko):

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

§ 293 BGB (Annahmeverzug):

Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.

§ 294 BGB (Tatsächliches Angebot):

Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden.

Die Norm durchbricht den Grundsatz "Ohne Arbeit keinen Lohn". Den Vergütungsanspruch nach § 615 Satz 1 BGB nennt man Annahmeverzugslohn.

Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb wegen eines staatlichen Lockdowns schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2021 - 5 AZR 211/21).
Leitsatz:

Die im Rahmen eines allgemeinen "Lockdowns" zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos.

Auszug aus der Pressemitteilung 31/21 vom 13.10.2021 des Bundesarbeitsgerichts:

Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen "Lockdowns" zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen.
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Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn - wie hier - zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es ist Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile - wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist - zu sorgen. Soweit ein solcher - wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigter - nicht gewährleistet ist, beruht dies auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

Betreiber von Pflegeeinrichtungen durften in der Zeit vom 16. März 2022 bis zum 31. Dezember 2022 nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpfte Mitarbeiter ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freistellen.
Ein Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist nicht entstanden.

Auszug aus der Pressemitteilung 16/24 vom 19.06.2024 des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19. Juni 2024 - 5 AZR 192/23):

Die Klägerin hat für die Zeit ihrer Freistellung im März 2022 keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2 BGB), weil sie entgegen der Anordnung des Beklagten diesem keinen Immunitätsnachweis iSd. § 20a IfSG aF vorgelegt hat und damit außerstande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken (§ 297 BGB). Nach § 20a IfSG aF, der der verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhielt (BVerfG 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299), war nicht nur das Gesundheitsamt berechtigt, einer Person, die den Immunitätsnachweis nicht vorgelegt hatte, zu untersagen, die jeweilige Einrichtung zu betreten und dort tätig zu werden.

Auszug aus der Pressemitteilung 17/24 vom 19.06.2024 des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19. Juni 2024 - 5 AZR 167/23):

Hat ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der während der Geltungsdauer des vormaligen § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG aF) die in § 20a Abs. 1 IfSG aF aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllte, von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, sind die Zeiten dieser unbezahlten Freistellung bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen. Dem Arbeitnehmer steht nur ein anteilig kürzerer Urlaubsanspruch zu.
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Ein Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall steht der Klägerin für den streitigen Zeitraum nicht zu.

Der Weg zum Arbeitsgericht

Die Gerichtsbarkeit in Arbeitssachen wird durch die Arbeitsgerichte, die Landesarbeitsgerichte und das Bundesarbeitsgericht ausgeübt.

Für Rechtsstreitigkeiten vor dem Arbeitsgericht gibt es zwei verschiedene Verfahren:

  • das Urteilsverfahren (§ 2 ArbGG) und
  • das Beschlussverfahren (§ 2a ArbGG).

Das Arbeitsgerichtsgesetz und die Zivilprozessordnung lassen einem klagenden Arbeitnehmer die freieWahl unter zahlreichen Gerichtsständen.

Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 wurde mit Wirkung zum 01.04.2008 ein neuer Gerichtsstand, der Gerichtsstand des Arbeitsortes eingeführt.
§ 48 Abs. 1a ArbGG:

Für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, 4a, 7, 8 und 10 sowie Abs. 2 ist auch das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Ist ein gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne des Satzes 1 nicht feststellbar, ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.

§ 35 ZPO (Zivilprozessordnung):

Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl.

Instanzen
1. Instanz: Arbeitsgericht (Klage)
2. Instanz: Landesarbeitsgericht (Berufung)
3. Instanz: Bundesarbeitsgericht (Revision)

Die Parteien können vor dem Arbeitsgericht den Rechtsstreit selbst führen (§ 11 Abs. 1 ArbGG). Es besteht also kein Anwaltszwang vor dem Arbeitsgericht.
Vor dem Bundesarbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht besteht aber Anwaltszwang (§ 11 Abs. 4 ArbGG).

Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzbuch/ Arbeitsgesetzbuch

Ein einheitlich kodifiziertes Arbeitsrecht in Form eines Arbeitsgesetzbuchs gibt es in Deutschland nicht.
In der ehemaligen DDR gab es ein Arbeitsgesetzbuch.
In Frankreich gibt es ein Arbeitsgesetz (Code du Travail). Dieses fasst die meisten Gesetze und gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsrecht zusammen.

Obwohl der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 in Art. 30 den Auftrag dazu formuliert, gibt es bisher keine Umsetzung. Arbeitsrechtliche Regelungen finden sich daher nach wie vor in zahlreichen Einzelgesetzen.
Art. 30 Abs. 1 des Einigungsvertrages:

(1) Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers,
  1. das Arbeitsvertragsrecht sowie das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht einschließlich der Zulässigkeit von Sonn- und Feiertagsarbeit und den besonderen Frauenarbeitsschutz möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren,
  2. den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz in Übereinstimmung mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften und dem damit konformen Teil des Arbeitsschutzrechts der Deutschen Demokratischen Republik zeitgemäß neu zu regeln.

Es herrscht fast überall die Meinung, dass wir ein verständliches und praxistaugliches Arbeitsgesetzbuch brauchen. Das derzeitige Arbeitsrecht besitzt in der Bevölkerung ein schlechtes Image. Es gilt als unverständlich und nicht sonderlich gerecht.

Die Kölner Jura-Professoren Dr. Martin Henssler und Dr. Ulrich Preis erhielten 2007 für ihr Konzept eines möglichen Arbeitsvertragsgesetzes den Preis für gute Gesetzgebung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung.
Unter Arbeitsrechtlern ist man enttäuscht, dass das seit Jahren geforderte Arbeitsvertragsgesetzbuch nicht mal in die Nähe des Gesetzgebungsprozesses gebracht wird.

Das Arbeitsgerichtsgesetz

Das grundlegende Gesetz für Gerichtsverfassung und Ordnung des Prozesses in der Arbeitsgerichtsbarkeit ist das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).

Mit der Änderung vom April 2008 sollen juristische Verfahren vor den Arbeitsgerichten beschleunigt werden. Es ist jetzt auch möglich, dass als Gerichtsstand der Arbeitsort eines Beschäftigten gewählt wird (§ 48 Abs. 1a ArbGG). Das kommt besonders Außendienstlern zugute.


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