Arbeitszeitgesetz und Lohnabrechnung

Inhalt

Aktuelles

SMS vom Chef in der Freizeit - Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23. August 2023 (5 AZR 349/22)
Leitsatz: Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.
Der Arbeitnehmer war als Notfallsanitäter in Vollzeit beschäftigt.
Der Arbeitgeber (Rettungsdienst) und der bei ihr gebildete Betriebsrat haben eine Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeitgrundsätzen geschlossen. Dort ging es auch um Springerdienste.
Auszug:
Einzelne Springerdienste werden (bezogen auf Dienstbeginn 7 Uhr) spätestens 4 Tage ... vorher durch konkrete Schichtzuteilung verbindlich. Sollte zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich sein, erfolgt die Zuteilung von unkonkreten Tag-, Spät- und Nachtdiensten. Die maximal vorgehaltene Anzahl der einzelnen Springerdienste im Dienstplanbereich wird in den jährlich aktualisierten Dienstplangrundsätzen ... ausgewiesen.
In unkonkret zugeteilten Springerdiensten als Tag-, Spät- und Nachtdienst können nach der Zuteilung weitere Konkretisierungen vorgenommen werden.


Betriebsrat hat Initiativrecht für Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung - Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22. Mai 2023, 4 TaBV 24/23
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung


Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales plant eine Reform des Arbeitszeitgesetzes und hat einen Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt. Damit reagiert der Gesetzgeber auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs (C-55/18 vom 14. Mai 2019) und des Bundesarbeitsgerichts (1 ABR 22/21 vom 13. September 2022), die eine Erfassung der Arbeitszeiten verlangt hatten.


Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber gilt ab sofort - Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21)
Diese Pflicht ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz bei unionsrechtskonformer Auslegung.

Arbeitgeber sollten klare Regelungen zur Anordnung und Ableistung von Überstunden treffen, um mögliche Überstundenprozesse zu vermeiden.


Bereitschaftszeit ist entweder Arbeitszeit oder Ruhezeit - Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2021 (Rechtssache C-107/19)


Rufbereitschaft kann komplett Arbeitszeit sein - Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 2021 zur Bereitschaftszeit (Rechtssache C-580/19)


Erstes Urteil deutscher Arbeitsgerichte nach dem Arbeitszeiterfassungsurteil des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18) - Arbeitsgericht Emden 2 Ca 94/19 (Urteil vom 20.02.2020)
Arbeitgeber sind damit evtl. schon seit Mai 2019 zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit verpflichtet.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach der Darlegungs- und Beweislast im Stundenprozess im Sinne des § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG gesondert zuzulassen.


Die Mitgliedstaaten der EU müssen die Arbeitgeber verpflichten, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat am 14. Mai 2019 diese Entscheidung in der Rechtssache C-55/18 getroffen.

Zweck des Arbeitszeitgesetzes

Die Gestaltung der Arbeitszeit hat einen großen Einfluss auf die Leistung und die Gesundheit der Arbeitnehmer. Das Arbeitszeitgesetz soll die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung gewährleisten. Die geschieht durch die Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit sowie die Festlegung von Mindestruhepausen während der Arbeit und Mindestruhezeiten nach Arbeitsende.

Das Arbeitszeitgesetz ist zum 01.07.1994 in Kraft getreten. Es ersetzte die aus dem Jahr 1938 stammende Arbeitszeitordnung.

Das Gesetz enthält Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten sowie Festlegungen zur Nachtarbeit, Sonntagsarbeit sowie zur Arbeit an Feiertagen.

Richtlinie 2003/88/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

Die Richtlinie 2003/88/EG ist eine Richtlinie der europäischen Gemeinschaft, die die Arbeitszeitgestaltung innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes regelt. Die Arbeitszeitrichtlinie muss von den einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.

Die Richtlinie legt Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung fest. Dabei geht es insbesondere um tägliche Ruhezeiten, Ruhepausen, wöchentliche Ruhezeiten, wöchentliche Höchstarbeitszeit, Jahresurlaub sowie bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit.

Artikel 2 Begriffsbestimmungen:

Im Sinne dieser Richtlinie sind:
1. Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;
2. Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;
3. Nachtzeit: jede, in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegte Zeitspanne von mindestens sieben Stunden, welche auf jeden Fall die Zeitspanne zwischen 24 Uhr und 5 Uhr umfasst;
....

Mit Art.27 der Richtlinie 2003/88/EG wurde die Vorgängerrichtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 aufgehoben.

Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes

Nach § 2 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz werden vom Gesetz grundsätzlich alle Arbeiter und Angestellten sowie die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten nach Vollendung des 18. Lebensjahres einbezogen.

  • Für die Beschäftigung von Personen unter 18 Jahren gilt nach § 18 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz anstelle dieses Gesetzes das Jugendarbeitsschutzgesetz.
  • Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Besatzungsmitglieder auf Kauffahrteischiffen (Handelsschiffen) im Sinne des § 3 des Seearbeitsgesetzes gilt nach § 18 Abs. 3 Arbeitszeitgesetz anstelle dieses Gesetzes das Seearbeitsgesetz.
  • Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Besatzungsmitglieder von Luftfahrzeugen gelten nach § 20 Arbeitszeitgesetz anstelle der Vorschriften dieses Gesetzes über Arbeits- und Ruhezeiten die Vorschriften über Flug-, Flugdienst- und Ruhezeiten der Zweiten Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät in der jeweils geltenden Fassung.
  • Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten enthält der § 21a Arbeitszeitgesetz spezielle Regelungen.
  • Für Arbeitnehmer, die im deutschen Küstengewässer und in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Bundesrepublik Deutschland besondere Tätigkeiten zur Errichtung, zur Änderung oder zum Betrieb von Bauwerken, künstlichen Inseln oder sonstigen Anlagen auf See (OffshoreTätigkeiten) durchführen, gilt die Offshore-Arbeitszeitverordnung.
  • Nicht anzuwenden ist das Arbeitszeitgesetz nach § 18 Abs. 1 auf
    • leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz,
    • Chefärzte,
    • Leiter von öffentlichen Dienststellen und deren Vertreter sowie Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind,
    • Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen,
    • den liturgischen Bereich der Kirchen und der Religionsgemeinschaften.

Das Arbeitszeitgesetz gilt unter Beachtung der oben aufgeführten Ausnahmen

  • für alle Arbeitsverhältnisse in Deutschland
  • Arbeitsverhältnisse bei privaten oder öffentlichen Arbeitgebern
  • unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers (Entscheidend ist der Ort, an dem die Arbeit geleistet wird.)
  • unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers
  • für ausländische Arbeitnehmer und Grenzgänger
  • für von einem Unternehmen mit Sitz im Ausland entsandte Arbeitnehmer
  • auch bei vorübergehender Tätigkeit auf Bau- oder Montagestellen (Die Dauer der Beschäftigung in Deutschland ist nicht maßgebend.)

Bereitschaftsdienste

Auszug aus dem Arbeitszeitreport Deutschland 2022 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021):

An Beschäftigte werden neben betriebsbedingten Änderungen der Arbeitszeit und Arbeit auf Abruf noch andere Flexibilitätsanforderungen gestellt. Dazu gehört, dass sich Beschäftigte in Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft für Arbeitseinsätze bereithalten müssen, bei denen zuvor nicht klar ist, ob und wann diese eintreten. Arbeitszeitrechtlich wird Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit definiert, und der Arbeitgeber kann den Aufenthaltsort der Beschäftigten während der Bereitschaft festlegen. Rufbereitschaft wird hingegen als Ruhezeit gewertet, die gegebenenfalls durch einen Arbeitsabruf unterbrochen wird. Hier ist den Beschäftigten der Aufenthaltsort nicht vorgeschrieben, und sie können diesen in Teilen selbst bestimmen, solange sie sich für einen Einsatzbeginn bereithalten und zeitnah einsatzbereit sein können.
Arbeitsbereitschaft Bereitschaftsdienst Rufbereitschaft
Es besteht eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich (ohne konkrete Arbeitstätigkeiten zu verrichten) am Arbeitsplatz aufzuhalten, um aus eigenem Entschluss jederzeit die Arbeit bei Bedarf aufnehmen zu können.
Nach Auslegung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird von dem Beschäftigten eine "wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung" verlangt, um im Bedarfsfall von sich aus und ohne Aufforderung durch Dritte die volle vertragliche Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen zu können (BAG 10. Januar 1991 - 6 AZR 352/89).
Beispiele:
- Wartezeit des Rettungsdienstfachpersonals zwischen zwei Einsätzen
- Wartezeit des Fernfahrers beim Be- oder Entladen des LKW
Bei der Arbeitsbereitschaft handelt es sich eindeutig um Arbeitszeit.
Die Arbeitnehmer müssen sich an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufhalten, damit erforderlichenfalls die volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufgenommen werden kann.
Beispiele:
- Polizei
- Ärztlicher Bereitschaftsdienst
- Richter und Staatsanwälte
Der Bereitschaftsdienst gehört in vollem Umfang zur Arbeitszeit.
Der Arbeitnehmer muss sich nicht an einem vom Arbeitgeber definierten Ort aufhalten, sondern auf Anruf zur Verfügung stehen. Er kann also seinen Aufenthaltsort selbst festlegen.
Die Rufbereitschaft stellt nach Ansicht des EuGH nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit dar, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, während dieser Zeit seine Freizeit zu gestalten, ganz erheblich beeinträchtigen.
Die Zeit der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft zählt immer als Arbeitszeit.
Das Mindestlohngesetz (MiLoG) nimmt Bereitschaftszeiten nicht explizit aus. Bereitschaftszeiten sind daher mit dem Mindestlohn zu vergüten, soweit sie nach der Rechtsprechung als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2016 (5 AZR 716/15) bestätigt. Für alle Rufbereitschaften, die Arbeitszeit darstellen, gilt der Mindestlohn. Für Zeiten der Rufbereitschaft, die keine Arbeitszeit darstellen, gilt der Mindestlohn nicht.

Dazu gibt es ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. November 2014 (5 AZR 1101/12). Danach ist das Mindestentgelt für die Pflegebranche nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12
Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG (zur gesetzeshistorischen Entwicklung aufgrund von Vorgaben des Unionsrechts, vgl. BAG 11. Juli 2006 - 9 AZR 519/05 - Rn. 42, BAGE 119, 41), sondern vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611 Abs. 1 BGB. Denn dazu zählt nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat (BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 21 mwN, BAGE 137, 366).

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2018 zur Bereitschaftszeit (Rechtssache C-518/15)
In dem Fall ging es um einen belgischen Feuerwehrmann. Dieser wollte seine daheim geleisteten Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit gewertet bekommen. Das zuständige Arbeitsgericht in Brüssel rief dazu den Europäischen Gerichtshof an. Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 14/18 des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2018:

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Kategorien von bei öffentlichen Feuerwehrdiensten beschäftigten Feuerwehrleuten nicht von allen Verpflichtungen aus der Richtlinie, darunter die Begriffe "Arbeitszeit" und "Ruhezeit", abweichen dürfen.
....

Ferner regelt die Richtlinie nicht die Frage des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer, da dieser Aspekt außerhalb der Zuständigkeit der Union liegt. Die Mitgliedstaaten können somit in ihrem nationalen Recht bestimmen, dass das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers für die "Arbeitszeit" von dem für die "Ruhezeit" abweicht, und dies sogar so weit, dass für letztere Zeiten gar kein Arbeitsentgelt gewährt wird.

Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringen muss und während deren er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten - was die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich einschränkt -, als "Arbeitszeit" anzusehen ist. Insoweit ist für die Einordnung als "Arbeitszeit" im Sinne der Richtlinie entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 2021 zur Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft (Rechtssache C-580/19)
In dem Fall ging es um einen deutschen Feuerwehrmann, der der Verpflichtung unterliegt, innerhalb von 20 Minuten in Arbeitskleidung und mit dem Einsatzfahrzeug die Grenze der Stadt erreichen zu können, in der sich seine Dienststelle befindet.
Eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft stellt nach Ansicht des EuGH nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit dar, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit, während dieser Zeit seine Freizeit zu gestalten, ganz erheblich beeinträchtigen.
Auszug aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs:

Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, während der ein Arbeitnehmer in der Lage sein muss, innerhalb von 20 Minuten in Einsatzkleidung mit dem ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug unter Inanspruchnahme der für dieses Fahrzeug geltenden Sonderrechte gegenüber der Straßenverkehrsordnung und Wegerechte die Stadtgrenze seiner Dienststelle zu erreichen, nur dann in vollem Umfang "Arbeitszeit" im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen die Folgen einer solchen Zeitvorgabe und gegebenenfalls die durchschnittliche Häufigkeit von Einsätzen während der Bereitschaftszeit gehören, ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie seine Möglichkeiten, dann die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2021 zur Bereitschaftszeit (Rechtssache C-107/19)
In dem Fall ging es um die Ruhepausen eines Feuerwehrmanns, der binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss.
Auszug aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs:

  1. Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als "Arbeitszeit" im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
  2. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, nachdem seine Entscheidung durch ein übergeordnetes Gericht aufgehoben wurde, nach dem nationalen Verfahrensrecht bei seiner Entscheidung an die Rechtsauffassung dieses übergeordneten Gerichts gebunden ist, wenn diese mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.

Zur Vergütung von Bereitschaftszeiten gibt es ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Juni 2016 (5 AZR 716/15). Danach ist der gesetzliche Mindestlohn für jede geleistete Arbeitsstunde zu zahlen. Zur vergütungspflichtigen Arbeit rechnen auch Bereitschaftszeiten, während derer sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort - innerhalb oder außerhalb des Betriebs - bereithalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen (Gesetzlicher Mindestlohn für Bereitschaftszeiten).
Der Leitsatz des Urteils ist eindeutig: "Bereitschaftszeit ist mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten."

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bindet andere nationale Gerichte, die sich mit einem ähnlichen Problem befassen. Damit kann das Urteil somit auch auf weitere Berufsgruppen Auswirkungen haben, bei denen Arbeitnehmer von zu Hause aus Bereitschaftsdienst leisten und innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit sein müssen.

Mindestlohn gilt auch für Standzeiten bei Taxifahrern
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 30. August 2018 (26 Sa 1151/17) entschieden, dass ein Taxiunternehmen von einem bei ihm als Arbeitnehmer beschäftigten Taxifahrer nicht verlangen kann, während des Wartens auf Fahrgäste alle drei Minuten eine Signaltaste zu drücken, um seine Arbeitsbereitschaft zu dokumentieren.

Arbeitszeit - Ruhepausen - Ruhezeit

Arbeitszeit der Arbeitnehmer
§ 3 Arbeitszeitgesetz:

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Das Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) liefert in § 3 Abs. 2 folgende Definition für den Werktag:

Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.

Werktage sind demnach die Tage von Montag bis Samstag. Das Arbeitszeitgesetz geht damit von einer regulären Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden aus. Bei einer 5-Tage-Woche wäre ebenfalls eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von bis zu 48 Wochenstunden möglich. Es könnten z. B. an 4 Tagen je 10 Stunden und an einem Tag 8 Stunden gearbeitet werden.

Die maximale Wochenarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz wären 60 Stunden (6 Tage zu jeweils 10 Stunden). Das ist jedoch nur mit dem oben angesprochenem Ausgleich möglich.

Nach § 7 Arbeitszeitgesetz kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (abweichend von § 3) zugelassen werden, die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Es ist auch möglich einen anderen Ausgleichszeitraum festzulegen (Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung).

Das Bundesarbeitsgericht hat am 15. Mai 2013 ein Urteil (10 AZR 325/12) zur Dauer der Arbeitszeit bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung gefällt.
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 34/13 des Bundesarbeitsgerichts:

Ist in einem Arbeitsvertrag die Dauer der Arbeitszeit nicht ausdrücklich geregelt, so gilt die betriebsübliche Arbeitszeit als vereinbart. Nach ihr bemessen sich die Pflichten des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung. Diese Grundsätze gelten auch für außertarifliche Angestellte.

Ruhepausen
§ 4 Arbeitszeitgesetz:

Die Arbeit ist durch im voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen. Die Ruhepausen nach Satz 1 können in Zeitabschnitte von jeweils mindestens 15 Minuten aufgeteilt werden. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause beschäftigt werden.

Ruhezeit

Tägliche Ruhezeit
Zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der neuen täglichen Arbeitszeit müssen mindestens 11 Stunden ununterbrochene Ruhezeit liegen.
§ 5 Arbeitszeitgesetz:

(1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.
(2) Die Dauer der Ruhezeit des Absatzes 1 kann in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen, in Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung, in Verkehrsbetrieben, beim Rundfunk sowie in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen wird.
(3) Abweichend von Absatz 1 können in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen Kürzungen der Ruhezeit durch Inanspruchnahmen während der Rufbereitschaft, die nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen, zu anderen Zeiten ausgeglichen werden.

Nach § 7 Arbeitszeitgesetz kann in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (abweichend von § 5) zugelassen werden, die Ruhezeiten bei Rufbereitschaft den Besonderheiten dieses Dienstes anzupassen, insbesondere Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahmen während dieses Dienstes zu anderen Zeiten auszugleichen.

Wöchentliche Ruhezeit
Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden (§ 9 Arbeitszeitgesetz).
Der § 10 Arbeitszeitgesetz lässt aber viele Ausnahmen zu.
Der § 11 Arbeitszeitgesetz definiert Grundsätze zum Ausgleich für Sonn- und Feiertagsbeschäftigung. Werden Arbeitnehmer an einem Sonntag beschäftigt, müssen sie einen Ersatzruhetag haben.
Damit wird die Richtlinie der europäischen Gemeinschaft über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung umgesetzt. Dort ist festgelegt, dass jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gewährt wird.

Die tägliche Ruhezeit kommt zur wöchentlichen hinzu - Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-477/21 vom 2. März 2023
Tägliche und wöchentliche Ruhezeiten dürfen sich nicht überschneiden.
Die tägliche Ruhezeit der Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist nicht Teil der wöchentlichen Ruhezeit, sondern kommt zu dieser hinzu.
Ein Arbeitnehmer, dem eine wöchentliche Ruhezeit gewährt wird, hat auch Anspruch auf eine tägliche Ruhezeit, die dieser wöchentlichen Ruhezeit vorausgeht.

Es handelt sich um zwei autonome Rechte, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt werden.
Die tägliche Ruhezeit soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich für eine bestimmte Anzahl von Stunden, die nicht nur zusammenhängen, sondern sich auch unmittelbar an eine Arbeitsperiode anschließen müssen, aus seiner Arbeitsumgebung zurückzuziehen.
Die wöchentliche Ruhezeit soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich pro Siebentageszeitraum auszuruhen.
Folglich ist den Arbeitnehmern die tatsächliche Inanspruchnahme beider Rechte zu gewährleisten.


§ 14 Arbeitszeitgesetz - Außergewöhnliche Fälle
Dem § 14 des Arbeitszeitgesetzes wurde folgender Absatz 4 angefügt:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, für Tätigkeiten der Arbeitnehmer für einen befristeten Zeitraum Ausnahmen zulassen, die über die in diesem Gesetz und in den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie in Tarifverträgen vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen. Diese Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der in Satz 1 genannten Arbeitnehmer zu bestimmen.

Die Neuregelung ermächtigte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, angemessene arbeitszeitrechtliche Regelungen zu erlassen sowie die zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer notwendigen Bedingungen zu bestimmen.
Die Verordnungsermächtigung wurde bis zum 31. Dezember 2020 befristet.

Auf Grund des § 14 Absatz 4 des Arbeitszeitgesetzes wurde dann die COVID-19-Arbeitszeitverordnung erlassen. Sie ist am 31. Juli 2020 außer Kraft getreten.

COVID-19-Arbeitszeitverordnung am 09.04.2020 im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Auf Grund des § 14 Absatz 4 des Arbeitszeitgesetzes, der durch Artikel 8 des Sozialschutz-Paket angefügt worden ist, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit die COVID-19-Arbeitszeitverordnung erlassen.
Diese Verordnung tritt am 10.04.2020 (Tag nach der Verkündung) in Kraft. Die Ausnahmen von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes sind nur bis zum 30. Juni 2020 zugelassen.
Um auch die besonderen Ausgleichsregelungen während der Geltungsdauer der Verordnung anwenden zu können, ist die Verordnung insgesamt bis zum 31. Juli 2020 befristet. Sie tritt also erst am 31. Juli 2020 außer Kraft.
In bestimmten Branchen und unter konkreten Voraussetzungen darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden. Dabei darf nur in dringenden Ausnahmefällen die Wochenarbeitszeit mehr als 60 Stunden betragen.
Die Mindestruhezeit von elf Stunden darf auf neun Stunden verringert werden. Jede Verkürzung der Ruhezeit ist innerhalb von vier Wochen auszugleichen.
In den konkret bestimmten Branchen dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden.

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Die Mitgliedstaaten der EU müssen die Arbeitgeber verpflichten, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat am 14. Mai 2019 diese Entscheidung in der Rechtssache C-55/18 getroffen.
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 61/19 des Gerichtshof der Europäischen Union vom 14. Mai 2019:

Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.

Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ist nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich.
....

Um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

Das Urteil betrifft alle Mitgliedstaaten der EU und wird damit auch große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag in Deutschland haben.

Erstes Urteil deutscher Arbeitsgerichte nach dem Arbeitszeiterfassungsurteil des EuGH vom 14.05.2019 (C-55/18) - Arbeitsgericht Emden 2 Ca 94/19 (Urteil vom 20.02.2020)
Auszug aus den Entscheidungsgründen des Urteils:

Der Beklagte hat gegen die ihn gemäß Art. 31 Abs. 2 der EUGrundrechte-Charta (im Folgenden: GrCh) treffende Verpflichtung zur Einrichtung eines "objektiven", "verlässlichen" und "zugänglichen" Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit des Klägers verstoßen. Der Beklagte hat für den Kläger kein entsprechendes System eingerichtet und daher auch keine objektiven und verlässlichen Daten vorlegen können, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Klägers nachvollziehen lassen würden. Die vom Beklagten mit der Klageerwiderung vom 03.06.2019 vorgelegten gedruckten Auswertungen des Bautagebuches (vgl. Anlagen zum Beklagtenschriftsatz vom 03.06.2019, 40 bis 41 der Akte) sind ungeeignet, zu belegen, welche Arbeiten der Beklagte dem Kläger zugewiesen hat und an welchen Tagen dieser diesen Weisungen nachkam oder nicht.
....
Die genannte Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten trifft den Arbeitgeber aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 2 GrCH auch ohne, dass es hierzu einer richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes (im Folgenden: ArbZG) oder einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bedürfte ....

Arbeitgeber sind damit evtl. schon seit Mai 2019 zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit verpflichtet.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage nach der Darlegungs- und Beweislast im Stundenprozess im Sinne des § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG gesondert zuzulassen.

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber gilt ab sofort - Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21)
Diese Pflicht ergebe sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz bei unionsrechtskonformer Auslegung.

Auszug aus der Pressemitteilung 35/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022:

Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
....
Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Auszug aus den Entscheidungsgründen des Beschlusses vom 13. September 2022:

Der Umstand, dass die inhaltlichen Vorgaben zur Arbeitszeit im Arbeitszeitgesetz geregelt sind, lässt nicht den Schluss zu, dass sich eine Pflicht des Arbeitgebers zur systematischen Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten nicht aus dem Arbeitsschutzgesetz ergeben könnte. Der Aspekt der Arbeitszeit, der einen nicht unbedeutenden Bestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Beschäftigten darstellt, ist aus dem Anwendungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes (§ 1 ArbSchG) nicht ausgenommen. § 1 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG stellt lediglich klar, dass die sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Verpflichtungen des Arbeitgebers seine durch andere Rechtsvorschriften begründeten Pflichten unberührt lassen. Gerade § 5 Abs. 3 Nr. 4 ArbSchG zeigt, dass auch die Arbeitszeit als unmittelbarer Gefährdungsfaktor zum Regelungsgegenstand des Arbeitsschutzgesetzes gehört.
Auch unionsrechtlich ist vorgegeben, dass das Arbeitszeit- und das Arbeitsschutzgesetz bei arbeitszeitrechtlichen Fragestellungen nebeneinander gelten.

Nach den unionsrechtlichen Maßgaben ist es aber nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren.

Nach diesem Urteil werden die Überprüfungen der Vorgaben des Arbeitszeitrechts durch die Aufsichtsbehörden zunehmen.
Beispiel: Beschluss des Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt vom 17.11.2022 (1 L 100/20.Z)
Aufforderung zur Vorlage von Dienstplänen und Arbeitszeitnachweisen für Beschäftigte eines Pflegeteams
Leitsatz:

Für ein Auskunftsverlangen nach § 17 Abs. 4 ArbZG ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Aufsichtsbehörde einen berechtigten Anlass hat zu prüfen, ob ein Arbeitgeber die Arbeitszeitvorschriften einhält. Weder muss ein konkreter Verstoß gegen Bestimmungen des ArbZG bereits feststehen noch ein konkreter Verdacht eines Gesetzesverstoßes gegeben sein.

Arbeitgeber sollten klare Regelungen zur Anordnung und Ableistung von Überstunden treffen, um mögliche Überstundenprozesse zu vermeiden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat wichtige Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung zusammengestellt.

Betriebsrat hat Initiativrecht für Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung - Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22. Mai 2023, 4 TaBV 24/23
Auszug aus der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts München vom 20.06.2023:

Das LAG München hat im Anschluss an die Entscheidung des BAG vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) zu einer gesetzlichen Verpflichtung der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung entschieden, dass der Betriebsrat durch seine Initiative eine Regelung darüber erzwingen kann, wie die Arbeitszeiten erfasst werden.
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Das ArbG München hat auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle eingesetzt und darauf hingewiesen, dass diese i.S. der Rechtsprechung des BAG in seiner Entscheidung vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) nicht offensichtlich unzuständig ist, weil es nach dem Wunsch des Betriebsrats nicht um das Ob der Zeiterfassung geht, zu der eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers besteht und daher kein Spielraum für Mitbestimmung, sondern allein um das Wie der Zeiterfassung.

Umkleidezeiten - Wegezeiten - Körperreinigungszeiten (Duschen)

Zum Thema Umkleidezeiten existiert ein Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 26.10.2016 (5 AZR 168/16). Danach ist die Umkleidezeit vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber vorschreibt, dass seine Arbeitnehmer bestimmte Kleidung tragen und im Betrieb anziehen müssen.
Leitsätze des Urteils:

1. Das Umkleiden ist Teil der vom Arbeitnehmer geschuldeten und ihm zu vergütenden Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss.
2. Steht fest (§ 286 ZPO), dass Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht die erforderlichen Umkleide- und damit verbundenen Wegezeiten nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen.

Der Kläger ist in der Lebensmittelproduktion eingesetzt. Die Arbeitskleidung wird von der Beklagten gestellt. Sie darf nach den geltenden Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden und ist im Betrieb an- und abzulegen.

Damit gilt: Müssen Arbeitnehmer eine auffällige Dienstkleidung tragen, ist die Umkleidezeit im Betrieb vergütungspflichtige Arbeitszeit.

In einem weiteren Urteil vom 25.4.2018 (5 AZR 245/17) sieht das Bundesarbeitsgericht dieses Kriterium auch erfüllt, wenn die Dienstkleidung aus Poloshirt und Sicherheitsschuhen besteht.
Auszug aus den Entscheidungsgründen des Urteils:

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Klägerin durch den Schriftzug auf dem Poloshirt in der Öffentlichkeit als Mitarbeiterin der Beklagten eindeutig zu erkennen. Die hierauf gestützte Annahme des Berufungsgerichts, bei dem zu tragenden Poloshirt handele es sich um besonders auffällige Dienstkleidung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine ausschließlich fremdnützige Tätigkeit liegt auch beim Tragen der Sicherheitsschuhe vor. Das Landesarbeitsgericht hat zwar dahinstehen lassen, ob diese eine besonders auffällige Dienstkleidung darstellen. Doch kann der Senat aufgrund der getroffenen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Denn die Klägerin erfüllt mit dem Tragen von Sicherheitsschuhen kein eigenes Bedürfnis, sondern kommt damit dem Erfordernis zur Nutzung einer von der Beklagten zur Verfügung gestellten Schutzkleidung während ihrer Tätigkeit nach.

Zum Anspruch auf Vergütung für Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten existiert ein Urteil des Landesarbeitsgericht Nürnberg.
Der Arbeitgeber muss in diesem Fall Wegezeiten, Duschen und Umziehen vergüten. Fremdnützigkeit ist für Vergütung entscheidend.

Vergütung für erforderliche Zeiten des Umkleidens und des Waschens - Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 06.06.2023 - 7 Sa 275/22
Leitsätze:

1. § 8 MTV für die Arbeitnehmer des Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern regelt die Vergütung für erforderliche Zeiten des Umkleidens und des Waschens nicht. (Rn. 96 - 99)
2. Steht fest, dass Umkleidezeit vor und nach der Arbeit und Körperreinigungszeit nach der Arbeit erforderlich sind, kann das Gericht die dafür notwendige Zeit schätzen bei Vorliegen entsprechender Anknüpfungstatsachen für eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO. (Rn. 117)
Die für das Umkleiden vor und nach der Arbeit, für die Reinigung nach der Arbeit und für die Wege von der Umkleide an den Arbeitsplatz und vom Arbeitsplatz zur Umkleide erforderlichen Zeiten sind gem. § 611a Abs. 2 BGB gesondert zu vergüten. (Rn. 76 - 94) (redaktioneller Leitsatz)

Auszug aus den Entscheidungsgründen des Urteils:

Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 611a Abs. 2 BGB knüpft an die Leistung weisungsgebundener Arbeit an. Zur Arbeitsleistung zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. "Arbeit" als Leistung der versprochenen Dienste ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (vgl. BAG 25.04.2018 - 5 AZR 245/17 - Rn. 22, juris mwN). Hierzu gehört grundsätzlich auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb. In einem solchen Falle macht der Arbeitgeber mit seiner Weisung das Umkleiden und das Zurücklegen des Wegs von der Umkleidezur Arbeitsstelle zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung (vgl. BAG 13.12.2016 - 9 AZR 574/15 - Rn. 23, juris mwN). Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers beruhen auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Daher schuldet der Arbeitgeber Vergütung für die durch den Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit (vgl. BAG 25.04.2018 - 5 AZR 245/17 - Rn. 23, juris mwN).
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Ob Körperreinigungszeiten auch als Arbeitszeit in diesem Sinne anzusehen sind, ist höchstrichterlich bisher noch nicht geklärt. Im Sinne der Rechtsprechung des BAG zu den Umkleidezeiten kommt es darauf an, ob die Zeit zum - gegebenenfalls auch nur teilweisen - Reinigen des Körpers überwiegend oder ausschließlich fremdnützig ist und nicht nur dazu dient, dass der Arbeitnehmer sauber nach Hause kommt. Die Fremdnützigkeit ist zu verneinen, wenn es um Körperreinigungszeit geht, die üblicherweise im Privatleben dazu dient, die übliche Entwicklung von Verunreinigung, Schweiß und Körpergeruch im Laufe eines Tages zu beseitigen. Sie ist dagegen zu bejahen, wenn es um Körperreinigungszeit geht, die aufgewendet werden muss, weil die Verunreinigung des Körpers deutlich über das Maß hinausgeht, das üblicherweise im Privatleben anfällt. Es kommt hier nicht darauf an, wie die Berufung meint, dass die Verschmutzung des Körpers es unzumutbar macht, den Betrieb ohne Duschen zu verlassen.

Nacht- und Schichtarbeit

§ 6 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz:

Die Arbeitszeit der Nacht- und Schichtarbeitnehmer ist nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit festzulegen.

Die Arbeitszeit der Nachtarbeitnehmer darf 8 Stunden pro Werktag nicht überschreiten. Eine Verlängerung der Nachtarbeit auf 10 Stunden darf nur vorgenommen werden, wenn die Arbeitszeit in einem Zeitraum von einem Kalendermonat oder innerhalb von vier Wochen auf im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich ausgeglichen wird. Das ist also eine starke Verkürzung des allgemeinen Ausgleichszeitraums nach § 3 Arbeitszeitgesetz.

Ausführliche Informationen zur Nachtarbeit (mit einem Beispiel zur Höhe der Zuschläge für Nachtarbeit und Spätarbeit aus einem Tarifvertrag)

Ausführliche Informationen zur Schichtarbeit und Schichtsystemen

Sonntags- und Feiertagsarbeit

Nach § 9 Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden. Der § 10 Arbeitszeitgesetz lässt aber viele Ausnahmen zu.
Ausführliche Informationen zur Sonntags- und Feiertagsarbeit.

Aushangpflicht und Arbeitszeitnachweise

Der Arbeitgeber ist nach § 16 Arbeitszeitgesetz verpflichtet, einen Abdruck des Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen, für den Betrieb geltenden Rechtsverordnungen auszuhängen.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und diese Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

Arbeitszeiten in Deutschland - Entwicklungstendenzen und Herausforderungen für eine moderne Arbeitszeitpolitik

Auszug aus dem WSI-Report der Hans-Böckler-Stiftung (Nr. 19 November 2014):

Die Arbeitszeit ist in den beiden letzten Jahrzehnten heterogener und flexibler geworden. Von einem einheitlichen Arbeitszeitmuster kann längst nicht mehr die Rede sein. Die im Report skizzierten Zeitstrukturen und -entwicklungen kollidieren nicht nur mit individuellen Zeitpräferenzen, sondern auch mit arbeits- und gesellschaftspolitischen Zeitzielen. Die Ausbreitung überlanger Arbeitszeiten auf der einen, sehr kurzer Arbeitszeiten auf der anderen Seite des Spektrums, wachsende Zeitdifferenzen zwischen den Geschlechtern und den Paaren mit Kindern sowie verschwimmende Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und privater Zeit führen weg vom Ziel der Familienfreundlichkeit, der Gendergerechtigkeit und der Work-Life Balance. Überlange Arbeitszeiten sowie zunehmende Schicht- und Nachtarbeit erhöhen die gesundheitlichen Risiken, gefährden die Beschäftigungsfähigkeit und widersprechen den Anforderungen an alternsgerechtes Arbeiten.
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Die steigende Frauenerwerbsarbeit und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes prägen die Lebensverläufe von Beschäftigten und ihrer Familien entscheidend. Arbeit und Familie sind zwei Lebensbereiche, die immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer miteinander vereinbaren müssen. Im Lebensverlauf wechselnde Anforderungen an Qualifikationen sowie Tätigkeitswechsel erhöhen den Bedarf an beruflichen Weiterbildungen. Arbeitszeiten müssen Beschäftigte darin unterstützen, verschiedenen Anforderungen im Laufe der Erwerbsbiografie nachzukommen. Arbeitszeitoptionen wie etwa Teilzeit, die die Anpassung der Arbeitszeit an familiale oder andere soziale Verpflichtungen ermöglichen, haben jedoch bisher oft negative Konsequenzen für die Erwerbskarriere.

Der Report verlangt folgende zeitpolitische Ziele zu verfolgen:

  • Der Spielraum für Zeitsouveränität muss erweitert werden. Damit soll die Zeitabhängigkeit von betrieblichen Vorgaben reduziert werden.
  • Es gilt den Zusammenhang von Arbeitszeit und Leistung neu zu gestalten.
  • Die Erwerbsarbeitszeit ist gerechter auf die Geschlechter zu verteilen.
  • Es gilt im Lebenslauf wechselnde Arbeitszeiten zu ermöglichen.
  • Beschäftigung ist zu sichern und zu schaffen.

35 % mehr Zeit für unbezahlte Arbeit als für Erwerbsarbeit - Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 137 vom 19.04.2016 des Statistischen Bundesamts:

Im Jahr 2013 hat die in Deutschland lebende Bevölkerung 35 % mehr Zeit für unbezahlte Arbeit aufgewendet als für bezahlte Erwerbsarbeit. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, ergibt sich daraus rechnerisch ein Wert für die unbezahlte Arbeit von 826 Milliarden Euro. Dieser Betrag für unbezahlt geleistete Arbeiten im Haushalt, bei der Betreuung und Pflege von Angehörigen sowie bei der Nachbarschaftshilfe und bei ehrenamtlichen Tätigkeiten liegt höher als die Nettolöhne und -gehälter aller Arbeitnehmer/-innen in Höhe von 780 Milliarden Euro.

Die Entwicklung und Einführung eines Arbeitszeitmodells ist sehr anspruchsvoll. Mit der Potenzialanalyse "Arbeitszeit" (INQA- Projekt) ist ein schneller Einstieg in die Thematik gerade für kleine und mittlere Unternehmen neben dem operativen Tagesgeschäft möglich.

Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert Wochenarbeitszeit

Auszug aus dem Positionspapier der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände:

Das Arbeitszeitgesetz regelt die zulässige Höchstdauer der Arbeitszeit. Mit ihm wird die europäische Arbeitszeitrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Die Freiräume, welche die Richtlinie bietet, wurden bei der Umsetzung in das deutsche Arbeitszeitgesetz allerdings nicht voll ausgeschöpft. Das Arbeitszeitgesetz sollte die Höchstarbeitszeit bezogen auf die Arbeitswoche und nicht den Arbeitstag regeln.

Die Arbeitgeber fordern damit, den Acht-Stunden-Tag aus dem Arbeitszeitgesetz zu streichen.

Auszug aus der Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 26.08.2015:

Braucht die deutsche Wirtschaft flexiblere Regelungen zur Arbeitszeit und Arbeitszeitgestaltung, um den Anforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden? Muss gar der Achtstundentag abgeschafft werden, wie es Arbeitgebervertreter gefordert haben? Nein, zeigt eine Untersuchung des WSI-Tarifarchivs in der Hans-Böckler-Stiftung: Eine Analyse der tariflichen Arbeitszeitbestimmungen belegt quer über alle Wirtschaftszweige hinweg ein kaum noch zu steigerndes Maß an flexiblen Anpassungsmöglichkeiten an betriebliche Produktions- und Arbeitserfordernisse.
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Die bestehenden tariflichen Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung bieten eine Fülle an Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung, zeigt die WSI-Analyse.
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Fazit: Bereits im Jahr 2000 formulierte der damalige Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt: "Wir sind heute bei der Arbeitszeit so flexibel, dass jede Behauptung, die Tarifverträge behinderten passgenaue betriebliche Lösungen, entweder bösartig ist oder in Unkenntnis der Tarifverträge erfolgt." Diese Flexibilität sei in den vergangenen Jahren durch die weitere Verbreitung von Arbeitszeitkonten oder Vereinbarungen zum mobilen Arbeiten noch gestiegen, betont WSI-Forscher Bispinck.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (umgangssprachlich die fünf Wirtschaftsweisen) veröffentlicht jeweils im November eines Jahres sein Gutachten. Das Jahresgutachten 2017/18 wurde am 08.11.2017 veröffentlicht. Im Kapitel "Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik" gibt es den Punkt "Digitalisierung als Chance". Dort wird das Thema der Wochenarbeitszeit aufgegriffen.
Auszug aus dem Inhalt:

Im Zuge einer Reform des Arbeitszeitgesetzes könnte eine Anpassung von einer Tageshöchstzeit auf eine Wochenhöchstzeit helfen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen. Zudem dürfte es sinnvoll sein, bei kollektiven Regelungen Abweichungen von der Mindestruhezeit von elf Stunden zuzulassen, um die Flexibilität von Arbeitszeit und -ort zu fördern. Forderungen nach einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit erscheinen mit Blick auf den im Zuge des demografischen Wandels voraussichtlich zunehmenden Fachkräfteengpass unzeitgemäß. Von einem Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit abzusehen, ist nach wie vor richtig, denn Teilzeitbeschäftigte könnten sich aufgrund des Rechtsanspruchs veranlasst sehen, ihren Wiedereinstieg in die Vollzeitbeschäftigung unnötig lange hinauszuzögern.

Arbeitswelt-Bericht

Arbeitswelt-Bericht 2021 - Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben entgegenwirken

Der Rat der Arbeitswelt ist im Januar 2020 als unabhängiges Gremium berufen worden. Auf Basis wissenschaftlicher Analysen und praktischer Erfahrung gibt der Rat Empfehlungen, wie Unternehmen, ihre Beschäftigten und die Politik die zukünftige Arbeitswelt gestalten können. Der Rat veröffentlicht jährlich einen Arbeitswelt-Bericht.
Der Arbeitswelt-Bericht 2021 enthält Handlungsempfehlungen zu den Themen Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Pandemie, Erwerbsformen in der Krise, berufliche Pflege und lebenslanges Lernen im Betrieb.
Auszug aus dem Arbeitswelt-Bericht 2021:

Mobiles Arbeiten birgt die Gefahr einer wachsenden Entgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit - und damit einhergehende gesundheitliche Folgen. Die Einhaltung arbeitszeitlicher Standards ist maßgeblich dafür, der Entgrenzung und Überlastung der Beschäftigten insbesondere auch bei der Arbeit von zu Hause vorzubeugen. Dementsprechend kommt der Arbeitszeiterfassung eine wichtige Funktion zu, um Mehr- bzw. Überbelastungen rechtzeitig erkennen und ihnen entgegenwirken zu können. Der Rat weist in diesem Kontext darauf hin, dass die 2019 vom Europäischen Gerichtshof geforderte Arbeitszeiterfassung selbstverständlich auch für mobile Arbeit oder Arbeit im Homeoffice gilt. Hierzu ist nach Ansicht des Rates eine Umsetzung durch den Gesetzgeber überfällig.
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Der Rat der Arbeitswelt kommt nach Sichtung der vorliegenden empirischen Evidenz zum Schluss, dass die geringfügige Beschäftigung in der jetzigen Form reformbedürftig und die allgemeine steuer- und abgabenrechtliche Privilegierung nicht mehr zeitgemäß ist. Der Rat ist sich der Heterogenität der Personen, die einen Minijob ausüben, und ihrer Motive, einen solchen aufzunehmen, bewusst. Er respektiert individuelle Entscheidungen darüber, welches Erwerbsarrangement für eine Einzelperson oder einen Mehrpersonenhaushalt vor dem Hintergrund der geltenden Rahmenregelungen optimal ist. Der Rat schätzt gleichwohl die beschriebenen Kollateraleffekte der allgemeinen Privilegierung von Minijobs als so gravierend ein, dass ihre stufenweise Abschaffung empfohlen wird.

Arbeitswelt-Bericht 2023 - Nachhaltige Arbeit als wichtigste Ressource

Im Mittelpunkt des Arbeitswelt-Bericht 2023 stehen unter Berücksichtigung aktueller Krisenproblematiken die Auswirkungen der digitalen und ökologischen Transformation auf die Arbeitswelt.
Auszug aus dem Arbeitswelt-Bericht 2023:

Die ökologische Transformation erfordert eine Erweiterung der arbeitswissenschaftlichen Fokussierung auf menschengerechte und effektive Arbeit. Das Wechselverhältnis zwischen Arbeit und ökologischer Lebensgrundlage muss stärker in den Blick genommen werden. Die Sicherung der Arbeitsmöglichkeiten künftiger Generationen muss mitgedacht werden. Menschengerechte und nachhaltig gestaltete Arbeit zeichnet sich auch in der doppelten Transformation dadurch aus, dass Risiken und Gefährdungen vermieden werden und sich die Arbeitstätigkeit darüber hinaus auch gesundheitsförderlich auf Beschäftigte auswirkt.

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