Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte - Gültig ab 01.01.2014
Bis Ende 2013 galt die regelmäßige Arbeitsstätte als maßgebender Ort. Ab 2014 zählt statt dessen die "erste Tätigkeitsstätte".
Aktuelles
Keine erste Tätigkeitsstätte von Rettungssanitätern allein aufgrund im Vorhinein aufgestellter monatlicher Dienstpläne mit Schwerpunkt auf einer Rettungswache
Bundesfinanzhof Beschluss vom 08. Februar 2024, VI B 46/23
Leitsätze:
1. NV: Es ist Tatfrage und daher vom Finanzgericht (FG) im Einzelfall zu beurteilen, ob eine dauerhafte Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung vorliegt.
2. NV: Der bloße Hinweis auf eine nach Ansicht des Finanzamts mit dem Urteil des FG nicht übereinstimmende Verwaltungsanweisung reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht aus.
3. NV: Ordnet der Arbeitgeber seine Mitarbeiter einem Versorgungsbereich zu, innerhalb dessen sie dauerhaft und grundsätzlich, aber rollierend auf Basis monatlich erstellter Dienstpläne in verschiedenen Rettungswachen eingesetzt werden, kommt eine dauerhafte Zuordnung zu einer bestimmten Rettungswache nicht in Betracht.
Auszug aus den Entscheidungsgründen:
Vorliegend hat das FG festgestellt, ausweislich der Arbeitsverträge der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) gelte das Kreisgebiet des Landkreises ... als deren Arbeitsort. Es hat weiter festgestellt, dass die Kläger eine Arbeitgeberbestätigung eingereicht haben, wonach keine dienst- und arbeitsrechtliche Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte festgelegt wurde. Vielmehr habe der Arbeitgeber erläutert, die Mitarbeiter würden einem Versorgungsbereich zugeordnet, innerhalb dessen sie dauerhaft und grundsätzlich eingesetzt würden. Innerhalb dieses Bereichs rollierten sie jedoch auf Basis monatlich erstellter Dienstpläne auf allen Wachen.
Bei diesem Sachverhalt kann eine dauerhafte Zuordnung zu einer bestimmten Rettungswache oder einer ersten Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes nicht angenommen werden. Allein ein monatlich im Voraus erstellter Dienstplan kann bei einem unbefristet tätigen Arbeitnehmer keine Dauerhaftigkeit der Zuordnung begründen. Darauf, dass der Steuerpflichtige ex post betrachtet ganz überwiegend in einer bestimmten Einsatzstelle eingesetzt wurde, kommt es nicht an.
Regelung ab 2014
Im Bereich der Fahrtkosten bei Fahrten zur sog. regelmäßigen Arbeitsstätte wird zur Steuervereinfachung ab 2014 gesetzlich festgelegt, dass es höchstens noch eine solche Tätigkeitsstätte je Dienstverhältnis gibt (Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts).
Die Regelungen zur Berücksichtigung der Entfernungspauschale bleiben unverändert bestehen. Es wird aber der bisherige Begriff der "regelmäßigen Arbeitsstätte" durch den neuen Begriff "erste Tätigkeitsstätte" ersetzt. Für nur noch eine Tätigkeitsstätte je Dienstverhältnis gibt es einen beschränkten Werbungskostenabzug (Entfernungspauschale, keine Verpflegungspauschalen, Unterkunftskosten in der Regel nur im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung). Für alle weiteren dienstlichen Fahrten können die tatsächlichen Kosten bzw. die pauschalen Kilometersätze angesetzt werden.
Der § 9 EStG erhält dazu im Absatz 4 eine exakte Definition:
(4) Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung im Sinne des Satzes 1 wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaftJe Dienstverhältnis hat der Arbeitnehmer höchstens eine erste Tätigkeitsstätte. Liegen die Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 für mehrere Tätigkeitsstätten vor, ist diejenige Tätigkeitsstätte erste Tätigkeitsstätte, die der Arbeitgeber bestimmt. Fehlt es an dieser Bestimmung oder ist sie nicht eindeutig, ist die der Wohnung örtlich am nächsten liegende Tätigkeitsstätte die erste Tätigkeitsstätte. Als erste Tätigkeitsstätte gilt auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird; die Regelungen für Arbeitnehmer nach Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und 5 sowie Absatz 4a sind entsprechend anzuwenden.
- typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
- je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.
Ob und wo der Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte hat, ist damit ab 2014 in mehreren Schritten zu prüfen.
- Der Arbeitgeber hat die erste Tätigkeitsstätte bestimmt.
- Fehlt eine solche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, sind die gesetzlichen Zeitvorgaben entscheidend:
- Erste Tätigkeitsstätte ist die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
- je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder
- mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll
- Liegen die Voraussetzungen von Schritt 2 für mehrere Tätigkeitsstätten vor, ist diejenige Tätigkeitsstätte erste Tätigkeitsstätte, die der Arbeitgeber bestimmt. Fehlt es an dieser Bestimmung oder ist sie nicht eindeutig, ist die der Wohnung örtlich am nächsten liegende Tätigkeitsstätte die erste Tätigkeitsstätte.
Das Bundesfinanzministerium hat ein BMF-Schreiben zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ab 1.1.2014 veröffentlicht.
Auszug aus dem BMF-Schreiben vom 25. November 2020 Steuerliche Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern (ersetzt das Schreiben vom 24. Oktober 2014):
Der Arbeitnehmer kann je Dienstverhältnis höchstens eine erste Tätigkeitsstätte, ggf. aber auch keine erste, sondern nur auswärtige Tätigkeitsstätten haben (§ 9 Absatz 4 Satz 5 EStG). Die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber (Rz. 6 ff.). Sind solche nicht vorhanden oder sind die getroffenen Festlegungen nicht eindeutig, werden hilfsweise quantitative Kriterien (Rz. 26 ff.) herangezogen. Voraussetzung ist zudem, dass der Arbeitnehmer in einer der in § 9 Absatz 4 Satz 1 EStG genannten ortsfesten Einrichtungen (Rz. 3 ff.) dauerhaft (Rz. 14 ff.) tätig werden soll. Ein Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte ist außerhalb seiner Wohnung immer auswärts tätig.
Definition der "Ersten Tätigkeitsstätte":
- Je Dienstverhältnis hat der Arbeitnehmer höchstens eine erste Tätigkeitsstätte.
- Die Tätigkeitsstätte ist eine ortsfeste betriebliche Einrichtung.
- Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe oder andere Tätigkeitsgebiete ohne ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind damit keine Tätigkeitsstätten.
- Bei der Tätigkeitsstätte muss es sich nicht um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des lohnsteuerlichen Arbeitgebers handeln. Möglich
sind auch:
- Verbundene Unternehmen nach § 15 Aktiengesetz
- Vom Arbeitgeber bestimmte Dritte (z.B. Kunden; Rechtsprechung des BFH ab 2014 überholt)
- Entleiher eines Leiharbeitnehmers (bei gesamter Dauer des Leiharbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate; Rechtsprechung des BFH ab 2014 überholt)
- Das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers kann keine erste Tätigkeitsstätte sein.
- Eine erste Tätigkeitsstätte liegt vor, wenn der Arbeitnehmer einer solchen Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist.
- unbefristete Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten betrieblichen Einrichtung
- Zuordnung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses (befristet oder unbefristet)
- Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus.
- Eine Zuordnung "bis auf Weiteres" gilt als dauerhaft.
- Auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit kommt es bei der Festlegung der "Ersten Tätigkeitsstätte" nicht mehr an. Die bisherige Rechtsprechung des BFH (VI R 36/10, VI R 55/10) ist damit ab 2014 gegenstandslos.
- Der Arbeitgeber kann nicht festlegen, dass der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte hat. Er kann aber auf die Festlegung verzichten.
- Wenn der Arbeitgeber keine Zuordnung getroffen hat oder diese nicht eindeutig ist, werden quantitative Zuordnungskriterien herangezogen (täglicher Arbeitsort oder Tätigkeit an zwei vollen Arbeitstagen oder mindestens ein Drittel der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit). Erfüllen mehrere Tätigkeitsstätten die quantitativen Voraussetzungen für eine erste Tätigkeitsstätte, kann der Arbeitgeber die erste Tätigkeitsstätte bestimmen. Macht er das nicht, wird die der Wohnung des Arbeitnehmers am nächsten liegende Tätigkeitsstätte festgelegt.
- Bei einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet handelt es sich nicht um eine erste Tätigkeitsstätte.
- Erste Tätigkeitsstätte ist auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird.
- Eine auswärtige (Groß-)Baustelle kann damit zur "Ersten Tätigkeitsstätte" werden (Langzeitbaustellen über 48 Monate Dauer).
Nach der alten Gesetzeslage war eine auswärtige (Groß-)Baustelle keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, auch wenn sie der Arbeitnehmer fortdauernd und immer wieder aufsucht ().
Finanzgericht Münster Urteil vom 25.03.2019 (1 K 447/16 E) - Erste Tätigkeitsstätte auf einer Baustelle
In dem Verfahren ging es darum, ob ein Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte begründet, wenn er von seinem Arbeitgeber wiederholt befristet auf einer Baustelle eingesetzt wird (Gesamtdauer über vier Jahre).
Die Arbeitgeberin des Klägers wurde ausschließlich auf der Grundlage von befristeten Verträgen für die Auftraggeberin tätig. Diese Verträge weisen Laufzeiten von längstens 36 Monaten auf. Aus der Personalplanung ergab
sich keine dauerhafte Zuordnung, da die Tätigkeit nicht unbefristet oder für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses oder über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten geplant werde. Die Mitarbeiter werden grundsätzlich
nach Bedarf auf Montage-Baustellen tätig.
Nach Ansicht des Gerichts ist maßgeblich, ob der Arbeitnehmer der Baustelle für die Dauer des Dienstverhältnisses oder für mehr als 48 Monate zugewiesen worden ist. Ob der Arbeitnehmer rückwirkend betrachtet mehr als 48 Monate auf der Baustelle tätig war, ist nicht entscheidend.
Die erste Tätigkeitsstätte ist für die Besteuerung von Arbeitnehmern von zentraler Bedeutung.
- Für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte gilt die Entfernungspauschale von derzeit 0,30 € pro Entfernungskilometer.
Zur Entlastung der Pendler wird die Entfernungspauschale ab dem 21. Entfernungskilometer um 5 Cent auf 35 Cent angehoben. Diese Maßnahme ist befristet für berufliche Fahrten ab dem 01.01.2021 bis zum 31.12.2026. Zusätzlich erhöht sich in den Jahren 2022 bis 2026 die Pauschale für Fernpendler ab dem 21. Entfernungskilometer um weitere 3 Cent auf insgesamt 38 Cent pro Kilometer. - Bei einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit hingegen können 0,30 € pro gefahrenen Kilometer durch den Arbeitgeber erstattet werden bzw. durch den Arbeitnehmer als Werbungskosten abgesetzt werden.
Beispiel:
Eine Verkäuferin arbeitet in einer Bäckerei. Dabei wird sie in mehreren Filialen eingesetzt. Der Arbeitgeber hat eine Filiale als erste Tätigkeitsstätte festgelegt. Es gilt:
- Für die Fahrten zur Filiale die als erste Tätigkeitsstätte festgelegt wurde, gilt die Entfernungspauschale (0,30 € pro Entfernungskilometer; vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2026 gelten ab dem 21. Entfernungskilometer höhere Werte).
- Für die Fahrten zu dan anderen Filialen gilt die Dienstreisepauschale (0,30 € pro gefahrenen Kilometer).
Bundesfinanzhof bestätigt neues Reisekostenrecht
Pressemitteilung Nummer 043/19 vom 18. Juli 2019
Auszug:
Das steuerliche Reisekostenrecht, das seit dem Jahr 2014 den Werbungskostenabzug für nicht ortsfest eingesetzte Arbeitnehmer und Beamte - wie z.B. Streifenpolizisten - einschränkt, ist verfassungsgemäß, wie der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 4. April 2019 VI R 27/17 entschieden hat. Zeitgleich hat der Bundesfinanzhof vier weitere Urteile veröffentlicht, die die Folgen der geänderten Rechtslage für andere Berufsgruppen - wie etwa Piloten, Luftsicherheitskontrollkräfte oder befristet Beschäftigte - verdeutlichen (Urteile vom 10. April 2019 VI R 6/17, vom 11. April 2019 VI R 36/16, vom 11. April 2019 VI R 40/16 und vom 11. April 2019 VI R 12/17).
Steuerrechtlich sind beruflich veranlasste Fahrtkosten von nichtselbständig Beschäftigten grundsätzlich in Höhe des tatsächlichen Aufwands als Werbungskosten abziehbar. Abzugsbeschränkungen bestehen allerdings für den Weg zwischen der Wohnung und dem Arbeits- oder Dienstort. Werbungskosten liegen hier nur im Rahmen der sog. Pkw-Entfernungspauschale i.H.v. 0,30 € je Entfernungskilometer vor. Dabei definiert das neue Recht den Arbeits- oder Dienstort als "erste Tätigkeitsstätte" (bisher: "regelmäßige Arbeitsstätte"). Nach dem neuen Recht bestimmt sich die erste Tätigkeitsstelle anhand der arbeitsvertraglichen oder dienstrechtlichen Zuordnung durch den Arbeitgeber (§ 9 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Demgegenüber kam es zuvor auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers an. Diese Änderung ist für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG) sowie der Verpflegungspauschalen (§ 9 Abs. 4a Satz 1 EStG) von Bedeutung.
Der Bundesfinanzhof hat gegen die gesetzlichen Neuregelungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber habe sein Regelungsermessen nicht überschritten, da sich Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken könnten.
Der Streitfall VI R 27/17 (Urteil vom 04.04.2019) betraf einen Polizisten, der arbeitstäglich zunächst seine Dienststelle aufsuchte und von dort seinen Einsatz- und Streifendienst antrat.
Leitsätze:
1. Ein Polizeibeamter im Einsatz- und Streifendienst verfügt an seinem ihm zugeordneten Dienstsitz, den er arbeitstäglich aufsucht, um dort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen, die er dienstrechtlich schuldet und die zu dem Berufsbild eines Polizeivollzugsbeamten gehören, über eine erste Tätigkeitsstätte.
2. Für die Frage der Zuordnung ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden soll.
3. Entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage kommt es für die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.
4. Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.
Der Streitfall VI R 40/16 (Urteil vom 11.04.2019) betraf eine Pilotin. Fliegendes Personal - wie Piloten oder Flugbegleiter - , das von seinem Arbeitgeber arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist
und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, die arbeitsvertraglich geschuldet sind, hat nach dem Urteil des BFH dort seine erste Tätigkeitsstätte.
Leitsätze:
1. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
2. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können, räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht.
3. Eine Flugzeugführerin, die von ihrem Arbeitgeber arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, die sie als Flugzeugführerin arbeitsvertraglich schuldet, hat dort ihre erste Tätigkeitsstätte.
4. Die Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie diese ausfüllenden Absprachen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht.
Das Urteil vom 10.04.2019 (VI R 17/17) ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 11.04.2019 VI R 40/16. Es ging um die erste Tätigkeitsstätte des fliegenden Personals nach neuem Reisekostenrecht. Danach hat fliegendes Personal, das vom Arbeitgeber einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist, seine erste Tätigkeitsstätte in den dort belegenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, wenn es dort zumindest in geringem Umfang arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeiten ausübt.
Ebenso hat der BFH in der Sache VI R 12/17 (Urteil vom 11.04.2019) den Ansatz der Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen bei einer Luftsicherheitskontrollkraft verneint, die auf dem gesamten Flughafengelände
eingesetzt wurde.
Leitsätze:
1. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
2. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können, räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht.
3. Ein Arbeitnehmer, der auf einem Flughafen an wechselnden Kontrollstellen zur Durchführung von Sicherheitskontrollen eingesetzt wird, hat auf dem Flughafengelände seine erste (großräumige) Tätigkeitsstätte.
Mit zwei weiteren Urteilen (Urteil vom 10.4.2019, VI R 6/17 und Urteil vom 11.4.2019, VI R 36/16) hat der BFH bei befristeten Arbeitsverhältnissen entschieden, dass eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt, wenn der Arbeitnehmer für die Dauer des befristeten Dienst- oder Arbeitsverhältnisses an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden soll. Erfolgt während der Befristung eine Zuordnung zu einer anderen Tätigkeitsstätte, stellt letztere keine erste Tätigkeitsstätte mehr dar, weshalb ab diesem Zeitpunkt wieder die Dienstreisegrundsätze Anwendung finden.
Reisekosten
Wird ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig, können folgende Reisekosten vom Arbeitnehmer als Werbungskosten angesetzt oder vom Arbeitgeber steuerfrei erstattet werden:
Sammelpunkt - Sammelbeförderung
Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte, kann er für Tätigkeiten außerhalb seiner Wohnung Reisekosten geltend machen. In einigen Fällen hat aber der Arbeitgeber ein Interesse daran, dass seine Arbeitnehmer gleichzeitig am Beschäftigungsort erscheinen. Dann wird häufig ein Treffpunkt (Sammelpunkt) festgelegt. Die Fahrten des Arbeitnehmers von der Wohnung zu diesem vom Arbeitgeber festgelegten Ort werden wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt. Für diese Fahrten darf nur die Entfernungspauschale angesetzt werden.
Regelmäßige Arbeitsstätte bzw. Erste Tätigkeitsstätte für Leiharbeitnehmer - Bundesfinanzhof sorgt mit Urteil vom 10.04.2019, VI R 6/17 für Klarheit
Kurzer Abriss der bisherigen Entwicklung:
Der Bundesfinanzhof hatte mit seinem Urteil vom 17.06.2010 (VI R 35/08) entschieden, dass ein Leiharbeitnehmer typischerweise nicht über eine regelmäßige
Arbeitsstätte verfügt und damit grundsätzlich Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten geltend machen kann. Das Gericht entschied dabei aber nur über kurzfristige Einsätze.
Mit Urteil vom 15.05.2013 (VI R 41/12) hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass auch Leiharbeitnehmern nur Verpflegungsmehraufwand in den Grenzen der Dreimonatsfrist zusteht.
Mit dem neuen § 9 Abs. 4 EStG (gültig ab 01.01.2014) war die Rechtsprechung des Bundesfinanzhof in vielen Fällen eigentlich überholt.
Auszug aus dem BMF-Schreiben vom 25. November 2020 Steuerliche Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern (ersetzt das Schreiben vom 24. Oktober 2014):
Eine dauerhafte Zuordnung ist gegeben, wenn das Dienstverhältnis auf einen anderen Arbeitgeber ausgelagert wird und der Arbeitnehmer für die gesamte Dauer des neuen Beschäftigungsverhältnisses oder länger als 48 Monate weiterhin an seiner früheren Tätigkeitsstätte des bisherigen Arbeitgebers tätig werden soll (sog. Outsourcing). Entsprechendes gilt, wenn ein Leiharbeitnehmer ausnahmsweise dauerhaft (nach § 9 Absatz 4 Satz 3 EStG, "bis auf Weiteres" also unbefristet, für die gesamte Dauer des Leiharbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate) in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig werden soll. Die Regelungen des § 1 Absatz 1 Satz 4 i. V. m. Absatz 1b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz entfalten für das Steuerrecht keine Wirkung.Beispiel 9
Der Arbeitnehmer A ist von der Zeitarbeitsfirma Z als technischer Zeichner ausschließlich für die Überlassung an die Projektentwicklungsfirma P eingestellt worden. Das Arbeitsverhältnis von A endet vertragsgemäß nach Abschluss des aktuellen Projekts bei P.
A hat ab dem ersten Tag der Tätigkeit bei der Projektentwicklungsfirma P seine erste Tätigkeitsstätte, da er seine Tätigkeit bei P für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses bei Z und damit dort dauerhaft ausüben soll.Abwandlung
Der Arbeitnehmer A ist von der Zeitarbeitsfirma Z unbefristet als technischer Zeichner eingestellt worden und wird bis auf Weiteres an die Projektentwicklungsfirma P überlassen.
A hat ab dem ersten Tag der Tätigkeit bei der Projektentwicklungsfirma P seine erste Tätigkeitsstätte, da er seine Tätigkeit bei P ohne Befristung und damit dort dauerhaft ausüben soll.
Damit kann der Arbeitnehmer in bestimmten Fällen auch in einem fremden Unternehmen seine erste Tätigkeitsstätte aufsuchen. Die Annahme
einer Tätigkeitsstätte erfordert damit nicht mehr, dass es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des lohnsteuerlichen Arbeitgebers handelt.
Ein Leiharbeitnehmer sollte eine "erste Tätigkeitsstätte" beim Entleiher haben, wenn er beim Entleiher "bis auf Weiteres" also unbefristet,
für die gesamte Dauer des Leiharbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate tätig werden soll.
Dieser Auffassung tritt das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 30.11.2016 (9 K 130/16) entgegen. Aufgrund der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung
ist bereits aus Rechtsgründen bei Leiharbeitsverhältnissen keine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb möglich.
Auszug aus dem Urteil 9 K 130/16 vom 30.11.2016:
Arbeitsrechtliche Besonderheiten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes: "vorrübergehend") legen nahe, dass bei Leiharbeitsverhältnissen bereits aus Rechtsgründen grundsätzlich nicht von einer dauerhaften Zuordnung zu einem Entleihbetrieb ausgegangen werden kann. Ist arbeitsrechtlich eine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb gesetzlich untersagt und folgt das Steuerrecht - was diese Zuordnungsfrage betrifft - dem Arbeitsrecht, kann sich auch steuerrechtlich keine dauerhafte Zuordnung ergeben, die zu einer ersten Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers führt.
....
Eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips durch Ansatz der Entfernungspauschale statt der tatsächlichen Fahrtkosten ist aber nur für den Grundfall einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten Tätigkeitsstätte gerechtfertigt. Nur in diesen Fällen kann sich der Arbeitnehmer auf immer gleiche Wege in unterschiedlicher Weise einstellen und auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken (etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und auch durch entsprechende Wohnsitznahme). Im Streitfall kann sich der Kläger aber, vergleichbar mit anderen Auswärtstätigkeiten, bei typisierender Ex-ante-Betrachtung auf den Ort, die Dauer und die weitere konkrete Ausgestaltung der dort zu verrichtenden Tätigkeit nicht einstellen; die vertragliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Entleihbetrieb ist dem Einflussbereich des Klägers entzogen.
....
Für den Streitfall kann aus den vorgenannten Gründen von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleihbetrieb nicht ausgegangen werden. Hat der Kläger danach keine erste Tätigkeitsstätte, kommt eine Begrenzung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Entleihbetrieb auf die Entfernungspauschale nicht in Betracht mit der weiteren Folge, dass dem Kläger die geltend gemachten Kilometerpauschalen nach den Grundsätzen für Auswärtstätigkeiten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 2014) zu gewähren sind.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Die Revision wurde eingelegt (Anhängiges Verfahren, VI R 6/17).
Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10.04.2019, VI R 6/17
Leitsätze:
1. Bei einem befristeten Beschäftigungsverhältnis kommt eine unbefristete Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG zu einer ersten Tätigkeitsstätte nicht in Betracht.
2. War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Dienstverhältnisses.
3. Wird ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts bei ansonsten unverändertem Vertragsinhalt verlängert, liegt ein einheitliches befristetes Beschäftigungsverhältnis vor. Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses erfolgt, ist daher auf das einheitliche Beschäftigungsverhältnis und nicht lediglich auf den Zeitraum der Verlängerung abzustellen.
Keine dauerhafte Zuordnung bei nur befristeten Einsätzen im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses
Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. Mai 2022, VI R 32/20
Leitsätze:
1. Im Fall einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG ist (lohnsteuerrechtlicher) Arbeitgeber der Verleiher.
2. Maßgebliches Arbeitsverhältnis für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i.S. des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-) Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis.
3. Besteht der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG.
Tätigkeitsstätte des Arbeitgebers bei einem verbundenen Unternehmen oder bei einem Dritten
Auszug aus dem BMF-Schreiben vom 25. November 2020 Steuerliche Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern (ersetzt das Schreiben vom 24. Oktober 2014):
Die Annahme einer Tätigkeitsstätte erfordert nicht, dass es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des lohnsteuerlichen Arbeitgebers handelt. Erfasst werden auch Sachverhalte, in denen der Arbeitnehmer statt beim eigenen Arbeitgeber in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung eines der in § 15 AktG genannten Unternehmen oder eines Dritten (z. B. eines Kunden) tätig werden soll. Von einem solchen Tätigwerden kann dann nicht ausgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer bei dem Dritten oder verbundenen Unternehmen z. B. nur eine Dienstleistung des Dritten in Anspruch nimmt oder einen Einkauf tätigt.
Auch hier gilt: Ein Arbeitnehmer, der bei einem verbundenen Unternehmen tätig wird, hat dort eine "erste Tätigkeitsstätte", wenn er "bis auf Weiteres" also unbefristet, für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate tätig werden soll.
Häusliches Arbeitszimmer - Home-Office
Auszug aus dem BMF-Schreiben vom 25. November 2020 Steuerliche Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern (ersetzt das Schreiben vom 24. Oktober 2014):
Das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers ist keine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers oder eines Dritten und kann daher keine erste Tätigkeitsstätte sein. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer einen oder mehrere Arbeitsräume anmietet, die der Wohnung des Arbeitnehmers zuzurechnen sind. Auch in diesem Fall handelt es sich bei einem häuslichen Arbeitszimmer um einen Teil der Wohnung des Arbeitnehmers. Zur Abgrenzung, welche Räume der Wohnung des Arbeitnehmers zuzurechnen sind, ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall abzustellen (z. B. unmittelbare Nähe zu den privaten Wohnräumen).
Erste Tätigkeitsstätte bei Vollzeitstudium oder vollzeitigen Bildungsmaßnahmen
Der Bundesfinanzhof hatte mit zwei Urteilen vom 9. Februar 2012 (VI R 42/11 und VI R 44/10) entschieden, dass Fahrten zwischen der Wohnung und einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung in voller Höhe
(wie Dienstreisen) und nicht nur beschränkt in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungkosten abgezogen werden können. Das Urteil vom 22.11.2012 (III R 64/11) hat diese Auffassung bestätigt.
Eine Bildungseinrichtung bzw. eine Hochschule (Universität) war damit nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.
Das gilt ab 2014 nicht mehr.
Auszug aus dem BMF-Schreiben vom 25. November 2020 Steuerliche Behandlung der Reisekosten von Arbeitnehmern (ersetzt das Schreiben vom 24. Oktober 2014):
Erste Tätigkeitsstätte ist auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird (§ 9 Absatz 4 Satz 8 EStG).Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme ist für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte dabei unerheblich. Eine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme ist nicht erforderlich. Eine Bildungseinrichtung gilt daher auch dann als erste Tätigkeitsstätte, wenn sie vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer nur kurzzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht (BFH-Urteil vom 14. Mai 2020, VI R 24/18, BStBl II S. XXX).
Ein Studium oder eine Bildungsmaßnahme findet insbesondere dann außerhalb eines Dienstverhältnisses statt, wenn
- diese nicht Gegenstand des Dienstverhältnisses sind, auch wenn sie seitens des Arbeitgebers durch Hingabe von Mitteln, wie z. B. eines Stipendiums, gefördert werden oder
- diese ohne arbeitsvertragliche Verpflichtung absolviert werden und die Beschäftigung lediglich das Studium oder die Bildungsmaßnahme ermöglicht.
Bundesfinanzhof - Urteil vom 14. Mai 2020, VI R 24/18
Erste Tätigkeitsstätte bei einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme
Leitsätze:
Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme ist für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG unerheblich.
Auszug aus der Pressemitteilung Nummer 039/20 vom 08. Oktober 2020:
Nach der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts zum Veranlagungszeitraum 2014 gilt auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird, als erste Tätigkeitsstätte. Dies gilt auch dann, wenn die Bildungseinrichtung lediglich im Rahmen einer kurzzeitigen Bildungsmaßnahme besucht wird, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 14.05.2020 - VI R 24/18 entschieden hat.
....
Die Dauer einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme sei für die Einordnung einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte i.S. des neugefassten § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG unerheblich. Das Gesetz verlange keine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme. Erforderlich, aber auch ausreichend sei, dass der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig ohnehin zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsuche. Der Auszubildende/Studierende werde mithin einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer gleichgestellt.
Erste Tätigkeitsstätte bei Auslands(praxis)semestern
Auslandssemester begründet an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG.
Leitsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 14. Mai 2020 (VI R 3/18):
1. Sieht die Studienordnung einer Universität vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer anderen (weiteren) Hochschule (hier Auslandssemester) absolvieren können bzw. müssen, wird an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG begründet.
2. Studierende können daher Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen, die durch den Besuch der anderen Hochschule veranlasst sind, nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5a und Abs. 4a EStG als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen.
3. Entsprechendes gilt in der Regel auch für Studierende, die im Rahmen ihres Studiums ein Praxissemester oder Praktikum ableisten können bzw. müssen und dabei ein Dienstverhältnis begründen.
Der Fall betraf eine Studentin, die nach einer abgeschlossenen Ausbildung ein Studium an einer inländischen Hochschule aufnahm. Die Prüfungsordnung schrieb vor, dass das Studium ab dem fünften Semester an einer Partnerhochschule im ausländischen Sprachraum fortzuführen sowie ein Auslandspraxissemester zu absolvieren war.
Von diesem Urteil profitieren allerdings nur Studierende, die bereits eine Erstausbildung abgeschlossen haben (Berufsausbildung oder Bachelor).
Aufwendungen für ein Studium als erste Ausbildung sind vom Werbungskostenabzug ausgenommen
§ 9 Abs. 6 EStG:
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium sind nur dann Werbungskosten, wenn der Steuerpflichtige zuvor bereits eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder Studium) abgeschlossen hat oder wenn die Berufsausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Eine Berufsausbildung als Erstausbildung nach Satz 1 liegt vor, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung und mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird. Eine geordnete Ausbildung liegt vor, wenn sie auf der Grundlage von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder internen Vorschriften eines Bildungsträgers durchgeführt wird. Ist eine Abschlussprüfung nach dem Ausbildungsplan nicht vorgesehen, gilt die Ausbildung mit der tatsächlichen planmäßigen Beendigung als abgeschlossen. Eine Berufsausbildung als Erstausbildung hat auch abgeschlossen, wer die Abschlussprüfung einer durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelten Berufsausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bestanden hat, ohne dass er zuvor die entsprechende Berufsausbildung durchlaufen hat.
Wenn bisher keine Erstausbildung abgeschlossen wurde, kann der Aufwand nur im Rahmen des Sonderausgabenabzugs berücksichtigt werden.
Studenten ohne abgeschlossene Berufsausbildung sollten, wenn die Möglichkeit besteht, das Auslandssemester in die Zeit des Masterstudiums verschieben.
Weitere Urteile des Bundesfinanzhofs zur ersten Tätigkeitsstätte
Erste Tätigkeitsstätte bei Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten - Bundesfinanzhof Urteil vom 26. Oktober 2022 (VI R 48/20)
Leitsätze des Urteils: Die Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten in einer Einrichtung des Arbeitgebers ist eine Tätigkeit i.S. des § 9 Abs. 4 EStG.
Erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers - Bundesfinanzhof Urteil vom 02. September 2021 (VI R 25/19)
Leitsätze des Urteils: Der Betriebshof ist keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers, wenn er dort lediglich die Ansage der Tourenleitung abhört, das Tourenbuch, Fahrzeugpapiere und -schlüssel abholt sowie die
Fahrzeugbeleuchtung kontrolliert.
Erste Tätigkeitsstätte einer Mitarbeiterin des allgemeinen Ordnungsdienstes nach neuem Reisekostenrecht - Bundesfinanzhof Urteil vom 12. Juli 2021 (VI R 9/19)
Leitsätze des Urteils: Eine überwiegend im Außendienst tätige Mitarbeiterin des allgemeinen Ordnungsdienstes hat im Ordnungsamt, dem sie zugeordnet ist, ihre erste Tätigkeitsstätte, wenn sie dort zumindest in geringem
Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die sie dienstrechtlich schuldet und die zu dem Berufsbild einer Mitarbeiterin des allgemeinen Ordnungsdienstes gehören.
Der Bundesfinanzhof hat am 17. Dezember 2020 (veröffentlicht am 29.04.2021) in drei Urteilen (VI R 21/18, VI R 22/18 und VI R 23/18) zur Ersten Tätigkeitsstätte bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung
nach neuem Reisekostenrecht Stellung bezogen.
Leitsätze des Urteils VI R 21/18: Erste Tätigkeitsstätte bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des aufnehmenden Unternehmens, der der Arbeitnehmer im Rahmen eines
eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen für die Dauer der Entsendung zugeordnet ist.
Erste Tätigkeitsstätte eines Werksbahn-Lokomotivführers nach neuem Reisekostenrecht - Bundesfinanzhof Urteil vom 01. Oktober 2020 (VI R 36/18)
Leitsätze des Urteils: Das firmeneigene Schienennetz, das ein Lokomotivführer mit der firmeneigenen Eisenbahn (Werksbahn) seines Arbeitgebers befährt, ist eine --wenn auch großräumige-- erste Tätigkeitsstätte
(Anschluss an Senatsurteil vom 10.03.2015 - VI R 87/13).
Erste Tätigkeitsstätte eines Postzustellers nach neuem Reisekostenrecht - Bundesfinanzhof Urteil vom 30. September 2020 (VI R 10/19)
Leitsätze des Urteils: Der Zustellpunkt (Zustellzentrum), dem ein Postzusteller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z.B. Sortiertätigkeiten, Abschreibpost,
Abrechnungen) ausübt, ist erste Tätigkeitsstätte.
Inhaltsgleich mit diesem BFH-Urteil ist das Urteil VI R 12/19 vom gleichen Tag.
Erste Tätigkeitsstätte eines Rettungsassistenten nach neuem Reisekostenrecht - Bundesfinanzhof Urteil vom 30. September 2020 (VI R 11/19)
Leitsätze des Urteils: Die Rettungswache, der ein Rettungsassistent zugeordnet ist, ist dessen erste Tätigkeitsstätte, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten
vornimmt (z.B. Überprüfung des Rettungsfahrzeugs in Bezug auf Sauberkeit und ordnungsgemäße Bestückung mit Medikamenten und sonstigem (Verbrauchs-)Material, im Bedarfsfall Reinigung sowie Bestückung des Fahrzeugs
mit fehlenden Medikamenten und fehlendem (Verbrauchs-)Material).
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